„Wenn ich in schön eingerichteten Cafés sitze, bekomme ich direkt Lust, eine Tasse zu malen." Paulina Kunze sitzt mit geradem Rücken im Café Helene mitten in Recklinghausen und nippt an ihrer heißen Zitrone. Ihre blonden Haare sind zu einem ordentlichen Dutt hochgesteckt, ein karierter Blazer umhüllt Körper. Vor ihr auf dem Tisch liegen ein paar Skizzen. Denn Paulina illustriert die März-Ausgabe der ak[due]ll.
Klapperndes Geschirr und Stimmengewirr. Das Café Helene scheint in Recklinghausen eine beliebte Anlaufstelle für fröhliche Mamas und aufgeweckte Studis zu sein. Paulina macht dieser Lärm jedoch nichts aus. Sie spricht besonnen gegen die Lautstärke an, wirkt fokussiert. Ihre klaren blauen Augen wirken wie ein Ruhepol im Ruhrpott-Trubel.
Den Blick fürs Detail hat sie von ihrer Mama. „Sie hat ein hohes Deko-Bewusstsein, das sich auf mich übertragen hat", erzählt Paulina. „Wenn mir beispielsweise in einem Café die Lampen gut gefallen, ist das auch eine Inspiration für mein eigenes Zimmer." So baut sie sich ihre Deko gerne selbst. „Auf meinem Schreibtisch steht zum Beispiel ein Vogelhäuschen und ich habe eine Pinnwand, die ich immer wieder neu gestalte." Paulina beschreibt sich selbst als einen perfektionistischen Menschen, dem Details und Atmosphäre besonders wichtig sind. Die schwarz-weißen Bilderkollagen in ihrem Zimmer sind zum Beispiel zentimetergenau abgemessen.
Neue PerspektivenDie 19-Jährige macht im Moment ihr Fachabitur mit Gestaltungsschwerpunkt auf einem Berufskolleg in Recklinghausen. „Ich komme ursprünglich von einem Gymnasium. Da hat mir aber einfach der Schwerpunkt gefehlt." Ausschlaggebend für den Wechsel auf das Berufskolleg war ihr damaliger schulischer Kunstaustausch in Polen. Dort hat sie viele neue Zeichentechniken ausprobiert, ist nachts durchs Museum gelaufen oder saß stundenlang draußen und hat Bäume gezeichnet. „Das war für mich eine ganz neue Erfahrung, die ich so noch nicht kannte. Da wusste ich, dass ich das Gestalten auf jeden Fall auch beruflich machen möchte", sagt die gebürtige Recklinghäuserin und strahlt.
„Anfangs überlegte ich, an der Kunstakademie in Düsseldorf Kunst zu studieren." Letztlich entschied sie sich dann aber für den für sie „sichereren" Weg. Für Paulina genau der richtige: „Am Berufskolleg arbeiten wir nach Auftrag. So lerne ich neue Perspektiven kennen. Vorher habe ich zeichentechnisch jahrelang das Gleiche gemacht."
„Ich experimentiere nicht rum"Denn zeichnen, das tut Paulina schon immer. Angefangen mit Figuren und ihrer extravaganten Kleidung, der Zeichentrickserie Winx Club, zeichnet sie auch heute noch am liebsten Fashionskizzen. Inspiration holt sie sich dabei über Instagram und Modezeitschriften. Wenn sie Menschen malt, dann beginnt sie immer zuerst mit der Hautfarbe: „Damit die Person erstmal eine Identität bekommt. Die anderen Farben kommen dann mit der Zeit."
Paulinas Technik hat sich über die Jahre allerdings verändert. „Begonnen habe ich mit Bleistiften, Buntstiften und YouTube-Videos. Dann habe ich mir immer mehr selbst beigebracht und zeichne heute am liebsten mit Copics." Copics sind hochwertige Marker mit jeweils einer dicken und einer dünnen Spitze. „Die Farben lassen sich hiermit am besten verblenden und man braucht zum Zeichnen nicht so lange", erklärt sie und zieht einen Samtsack aus ihrer Tasche, der prall gefüllt mit Stiften in den unterschiedlichsten leuchtenden Farben ist. „Ein teurer Spaß."
Das Deckblatt und Inlay der akduell hat Paulina ebenfalls mit Copics gezeichnet. Hierfür holte sie sich Ideen aus dem Internet: „Ich habe zuerst geschaut, welche Bilder mir persönlich sofort einfallen, wenn ich an das Thema ,Studieren mit Stipendium' denke. Da fiel mir der typische Hut ein. Dann habe ich bei Google nach passenden Motiven gesucht und diese in meinem Stil nachgezeichnet."
Pro Illustration brauchte Paulina jeweils anderthalb Stunden. Ihre Inspirationsquellen? „Musik verändert meine Zeichnungen", beschreibt Paulina den Entstehungsprozess ihrer Illustrationen. Wenn sie zum Beispiel Rock höre, werden die Motive automatisch düsterer. Am besten abschalten kann sie allerdings mit Musik von Twenty One Pilots. „Da tauche ich komplett in meine Welt ab und blende alles aus, auch wenn es an der Tür klopft." Ansonsten lässt Paulina sich bei ihren Zeichnungen wenig leiten, weil sie genau weiß, was sie zeichnen will und wie das so detailgetreu wie möglich umzusetzen ist. Auch hier zeigt sich ihr Perfektionismus. „Ich experimentiere nicht rum, denn meist gefällt mir meine erste Illustration am besten."
Die Persönlichkeit, die Paulina am meisten beeinflusst, ist der britische Mode-Illustrator und Designer Hayden Williams. „Er skizziert Menschen, meistens sind es Berühmtheiten, abgeändert, oft mit überproportional langen Beinen und sehr schmalen Taillen. Die Art, Figuren so darzustellen, hat mich inspiriert", sagt Paulina und nippt an ihrer mittlerweile nur noch lauwarmen Zitrone. Vor allem aber gefalle ihr, wie der Illustrator auf das Thema Mode eingehe. Deshalb möchte sie in ihrem späteren Beruf am liebsten Modezeitschriften illustrieren.
Oder Fitnesstrainerin werden. Die junge Frau scheint voller Ideen und Pläne zu stecken. Man spürt, sie möchte weg. Weg von ihrem gewohnten Umfeld, rein in eine neue, aufregende Umgebung. „Ich will nach Berlin", sagt sie, während ihre Augen ein wenig hin und her flackern. Wenn sie zuvor wie ein Ruhepol wirkten, haben sie jetzt etwas Hektisches, Reiselustiges. „Ich mag diese vielen Möglichkeiten, die man dort hat und das immer und überall etwas los ist."
Inspirierende ReisenNeue Städte zu erkunden, hilft Paulina auch auf der kreativen Ebene weiter: „Ich war früher Leistungsschwimmerin und bin daher viel rumgekommen. Ich denke, dass jede Reise einen ein Stück weit prägt. Das lässt sich eben auch aufs Zeichnen beziehen." Barcelona war aus architektonischer Sicht bislang ihre größte Inspiration. Wenn es um Paulinas persönliche Gedanken geht, zeichnet sie für sich. Ganz privat und ohne Perfektion.
Ihr Skizzenbuch ähnelt einem Tagebuch. Hier malt sie einfach auf, was sie die letzten Monate so erlebt hat. Schöne Erinnerungen und prägende Momente. „Hier war ich in Berlin und da auf einem Konzert von EdSheeran", sagt sie mit einem Lächeln und streicht über die groben, teils verschwommenen Bleistiftzeichnungen. Ob sie nach ihrem Fachabitur eine Ausbildung oder ein Studium machen will, da ist sich Paulina noch nicht sicher. „Ich schaue einfach, was die Zukunft so bringt. Eine Ausbildung in dem Bereich könnte ich mir wegen des hohen Praxisanteils allerdings sehr gut vorstellen." Sie trinkt ihre heiße Zitrone aus.