Wie reagieren die Menschen, wenn man die Bibel als Koran verkleidet und ihnen daraus vorliest? Die holländischen Youtuber Alexander Spoor und Sacha Harland haben das auf den Straßen von Den Haag getestet: Sie lesen in ihrem "Holy Quran Experiment" Passanten besonders brutale Passagen aus der Bibel vor, die zu Gewalttaten, zur Unterdrückung der Frau oder zur Todesstrafe für Homosexuelle auffordern. Auf dem Buchdeckel steht in großer Schrift "De Heilige Koran". Die beiden jungen Männer fragen im Anschluss nach den Meinungen und Einschätzungen der Testpersonen. Die Reaktionen reichen von "Das ist lächerlich" bis hin zu "Wie kann man an so etwas glauben?" und "Der Koran ist viel aggressiver als die Bibel". Nach einigen Minuten wird die Situation dann aufgelöst. Die Passanten reagieren erstaunt, als sie erkennen, dass ihnen aus der Bibel vorgelesen wurde.
Christ und Welt: Ihr Video "The Holy Quran Experiment" hat fast sieben Millionen Klicks in nur wenigen Tagen erreicht.
Alexander Spoor: Ja, das ist wirklich der Wahnsinn, unser bislang größter Erfolg als Youtuber.
Sacha Harland: Unglaublich!
C+W: Wie ist Ihnen die Idee gekommen, die Bibel als Koran zu verkleiden und damit auf die Straße zu gehen?
Spoor: Also mittlerweile hat sich unser Kanal "Dit Is Normaal" auf soziale Experimente spezialisiert. Wir geben auf Youtube beispielsweise McDonald's-Essen als Bio-Lebensmittel aus und verkleiden Android-Handys als iPhone. Dabei geht es immer um die Reaktionen der Menschen und um ihre Vorurteile. Also für Youtube-Verhältnisse sind wir recht seriös und ernst, weil wir uns vergleichsweise anspruchsvollen Themen widmen. Früher haben wir einfach nur ulkige Straßenumfragen produziert.
Harland: Die Idee zu dem Koran-Experiment kam uns nach den Attentaten in Paris, beim Brainstormen mit Freunden. Einer unserer Kumpels ist Atheist, er hat ein ziemliches Problem mit Religionen. Und so sind wir auf die Idee gekommen, Koran und Bibel mal zu vertauschen und die Reaktionen einzufangen.
C+W: In Ihrem Experiment konfrontieren Sie Passanten auf der Straße mit sehr gewalttätigen Passagen aus der Bibel.
Spoor: Ja, die mussten wir erst mal mühselig googeln. Wir sind zwar beide christlich sozialisiert, aber nicht sonderlich religiös.
Harland: Also ich wusste, dass es solche harten Sätze gibt wie "Wer über Gott spottet, muss sterben, die ganze Gemeinde soll ihn steinigen". Doch ich habe mir nie die Mühe gemacht, nachzuschlagen und mich damit auseinanderzusetzen. Wir mussten uns für das Experiment auch erst mal eine Bibel kaufen. Die ganze Vorbereitung hat mehrere Tage gedauert.
C+W: Über Ihr Video wird im Netz viel diskutiert. Allein 17.000 Kommentare auf Youtube.
Harland: Manche Muslime haben uns privat kontaktiert und uns für das Video gedankt, weil wir auf spielerische Art diesen christlich-muslimischen Konflikt aufgreifen und uns mit der Gewalt in der Bibel und im Koran auseinandersetzen. Es ist spannend, wie unterschiedlich das Video gedeutet und interpretiert wird. Die meisten sind begeistert. Nur manche finden es doof.
C+W: Woran stören sie sich?
Spoor: Ach, es gab ein paar sehr wütende Christen. Manche Christen werfen uns vor, dass wir über die Bibel spotten, und fühlen sich durch die Darstellung beleidigt, weil wir die Christen schlecht dastehen lassen. Vielleicht können diese Kritiker jetzt erahnen, wie sich manche Muslime fühlen müssen, wenn ihre Religion falsch dargestellt wird.
C+W: Ist der Einwand der Kritiker nicht berechtigt?
Spoor: Nein, wir lesen ja echte Bibelpassagen vor.
Harland: Ziel unseres Videos ist es, zu zeigen, dass keine Religion besser oder schlechter ist als die andere. Wir brauchten für das Experiment nun mal zwei große Religionen. Das Christentum hat sich da in unseren Breitengraden als Vergleichsgröße angeboten. Es sollte lediglich als Beispiel dienen. Wer sich angegriffen fühlt, hat die Botschaft nicht verstanden.
C+W: Oder ist ein Youtube-Schnipsel vielleicht auch nicht geeignet, um das Thema seriös zu behandeln?
Spoor: Mag sein. Unser Video soll auch eher ein Denkanstoß sein und keine Problemlösung darstellen. Im Grunde verdeutlicht unser Experiment ja, dass sich jede Religion dekontextualisieren lässt. Es ist das, was viele Extremisten machen: Sie reißen Passagen aus dem Zusammenhang. Unser Video ist mehr eine Konfrontation.
C+W: Soll der Dreieinhalb-Minuten-Clip das Image des Islam verbessern?
Harland: Nein, obwohl das viele denken. Unser Ziel ist kein religiöses. Wir wollen aber zeigen, wie negativ das Bild über den Islam ist, das in der Öffentlichkeit kreiert wurde. Die meisten verbinden die Religion mit Gewalt und Aggressivität. Wir sollten das reflektieren und nachfragen: Warum ist das so? Welches Bild des Islam präsentieren uns die Medien? Wir wollen mit gewissen Berichterstattungsmustern brechen. Denn es gibt viele Muslime, die unter den Vorurteilen leiden.
C+W: Was glauben Sie, warum hat das Video so einen Erfolg?
Spoor: Das liegt an mehreren Faktoren. Ich glaube, es ist die Kombi. Das Konzept ist witzig, aber mit einem politischen Anspruch. Jeder Zuschauer erkennt die Botschaft, ohne dass sie direkt ausgesprochen wird. Es gibt unsererseits keine Conclusio oder Erklärung am Ende, jeder muss sich seinen eigenen Reim darauf bilden, warum die Menschen automatisch sofort sagen: "Der Koran ist viel aggressiver als die Bibel."
Harland: Es war uns wichtig, dass das Ende offen bleibt. Man soll sich fragen: Wäre ich auch darauf reingefallen? Was sagt das über mich aus, über meinen Blick auf den Islam, auf Religionen? Habe ich auch solche Vorurteile? Und wie gut kenne ich mich überhaupt mit meiner eigenen Religion aus?
C+W: Haben Sie die Reaktionen der Testpersonen eigentlich überrascht?
Harland: Nein, nicht wirklich (lacht). Es gab kaum jemanden, der verärgert war, als wir die Sache auflösten. Wir Niederländer nehmen uns selbst nicht so ernst und das meiste mit Humor. Jeder hat den Witz direkt verstanden.
Spoor: Nur ein Passant hatte den Braten schnell gerochen und geahnt, dass die Passagen aus dem Alten Testament stammen und nicht aus dem Koran. Er war übrigens Deutscher und sehr katholisch.
C+W: Fand er es witzig? Sie wollten ihn ja immerhin hinters Licht führen …
Harland: Er fand die Idee nicht schlecht.
C+W: Hätte das Video einen ähnlichen Erfolg, wenn Sie beide selbst Muslime wären?
Spoor: Ich glaube ehrlich gesagt: Nein. Hätten nicht wir westlichen Jungs dieses Video gedreht, sondern beispielsweise arabische Youtuber, hätte man sofort an Islam-Propaganda gedacht.
Harland: Ja, aber wir weißen Holländer können das machen, mit den Vorurteilen spielen, ohne dass man uns gleich verdächtigt, jemanden indoktrinieren zu wollen.
C+W:Sie verfolgen also ein politisches Motiv?
Spoor: Na ja, ich glaube, das Video ist Teil der politischen Debatte. Unsere Motivation lag eher darin begründet, dieses soziale Experiment zu wagen. Wir haben auf unserem Kanal 25.000 Abonnenten, wir haben also gar nicht die Reichweite, um große politische Anstöße zu geben. Das ist auch nicht die Absicht unserer Videos, politische Botschaften via Youtube zu verbreiten. Wir können keine Probleme lösen oder mit unserer Plattform Vorurteile gänzlich beiseite schaffen, aber wir versuchen unsere Zuschauer in die richtige Denkrichtung zu stupsen.
C+W: Eignet sich Religion, um Youtube-Zuschauer zum Lachen zu bringen?
Spoor: Wenn man lustig ist, kann man Menschen mit allem zum Lachen bringen.
Harland: Das stimmt. Es war aber auf jeden Fall ein gutes Thema für dieses Experiment, weil jeder jemanden kennt, der gläubig ist. Oder man ist es selbst. Der Identifikationsgrad ist hoch. Daher eignet sich Religion schon, um breite Massen zum Klicken zu animieren.
Spoor: Interessanterweise ging das Video zuerst in Amerika viral, später erst in Europa. Wahrscheinlich, weil die Amis teilweise sehr konservativ sind. Die Gesellschaft dort hat noch mal ein anderes Verhältnis zum Islam als wir.
C+W: Haben Sie schon das nächste Video geplant?
Harland: Wir sind gerade dabei. Es darf nicht allzu politisch sein, wir sind hier ja immer noch bei Youtube. Aber ganz leichte Kost wollen wir auch nicht mehr servieren. Wir brauchen eine gute Balance, um im Business Erfolg zu haben und die Fans bei der Stange zu halten. Nur witzig, das sollten all unsere Videos immer sein.