Abgehört - neue Musik Wie geht's denn so in der Gemütsgrauzone?
Auf der Suche nach Sinn und Soul: Zwei hypermoderne Pop-Alben von Nick Hakim und Moses Sumney passen perfekt zur aktuellen Innerlichkeit. Außerdem: Neues von Kaitlyn Aurelia Smith, Future und The 1975.
Kaitlyn Aurelia Smith - "The Mosaic of Transformation"
Haben Sie auch Angst davor, in welcher Verfassung Sie Ihre Kolleginnen und Kollegen antreffen, wenn Sie wieder zurück ins Büro dürfen? Aktuell scheint es nur zwei Fraktionen zu geben: Diejenigen, die sich zermürbt von Zoom-Meetings, Beziehungskrisen auf 50 Quadratmetern oder Homeschooling einen gepflegten Alltagsalkoholismus zugelegt haben und froh sind, wenn sie es abends noch schaffen, dem Lieferando-Mann die Tür aufzumachen. Und diejenigen, die vor der healthyFrühstücksbowl schon gejournaled, meditiert und eine halbe Stunde geplankt haben. Falls Sie sich eher Ersteren zugehörig fühlen: Seien Sie unbesorgt - es ist noch nicht zu spät, den Yogi in sich zu entdecken! Kaitlyn Aurelia Smith hat dafür nämlich gerade den perfekten Soundtrack produziert.
Dass die in Los Angeles lebende Produzentin eine Affinität zu New Age hat, liegt im Ursprung ihres sphärischen Sounds begründet: Ihre vielschichtigen Produktionen kreisen stets um den Buchla 100, einen modularen Synthesizer, der doppelt so alt ist, wie die 32-Jährige selbst und dessen sanft pluckernden Sound vor allem New-Age-Legende Suzanne Ciani populär gemacht hat. Mit der mehrfach Grammy-nominierten Synthesizer-Pionierin, die für das Coca-Cola-Soundlogo Pop & Pour weltberühmt wurde, nahm Smith 2016 ihr sechstes Album "Sunergy" auf. Es folgten die Konzeptalben "Ears" und "The Kid", auf denen sie das Leben als mystische Reise verhandelte - und 2018 "Tides: Music For Meditation And Yoga", was wohl keiner weiteren Erläuterung bedarf.
Auch "The Mosaic of Transformation"sollte man sich am besten im Lotussitz anhören, um sich auf den Wellen dieses blubbernden Klangbades wegspülen zu lassen. Wellen sind dabei das Stichwort, ist das Album laut Smith doch eine Liebeserklärung an die Elektrizität - im wörtlichen, wie im übertragenen Sinne als energetischen Flow, der den Körper durchströmt. Während des Schreibprozesses habe sie täglich eine Art Improvisationstanz vollführt, um mit ihrem Körper jene Wellenformen nachzuzeichnen, in denen Elektrizität durch Synthesizer pulsiert und Klänge durch die Luft.
Klingt esoterisch? Ist es auch - aber auf eine gute Art! Vogelgezwitscher flirrt aus dem Buchla, fugenartige Orgelmotive treten in Dialog mit erhabenen Streicherflächen, verfremdete Chöre schwellen an zu kontemplativen Chants. Unzählige musikalische Ideen blitzen für Augenblicke auf und fliegen vorbei, wie flüchtige Gedanken, die man versucht in der Mediation loszulassen. Und wenn man nach 40 Minuten die Augen wieder öffnet, bleibt wohl nur noch zu sagen: Namasté. (7.3) Laura Aha