„Es war einmal vor langer Zeit in einer weit, weit entfernten Galaxis“
Mit diesen Worten begann im Mai 1977 eine der berühmtesten Leinwandgeschichten der Welt. „Krieg der Sterne" - im Original „Star Wars" - war einer der ersten Kino-Blockbuster und ein Meilenstein der Filmgeschichte. Jung und Alt faszinierte der Kampf zwischen Gut und Böse, aufgemacht als modernes Weltraum-Märchen mit nach damaligen Maßstäben sensationellen Spezialeffekten.
Auch für mich war „Star Wars" mehr als eine Filmreihe, nämlich ein Universum voller Ideen, in dem unendlich viel zu entdecken war und das meine Fantasie beflügelte. Als Kind baute ich Sternjäger aus Legosteinen und versuchte wie die Jedi-Ritter, mit der Kraft meiner Gedanken Dinge zu bewegen. Besonders liebte ich die blaue Geschenkpapierrolle, die sich in meinen Händen in ein Lichtschwert verwandelte...
In diesem Sommer hat der Disney-Konzern in seinen beiden amerikanischen Freizeitparks eine neue Themenwelt um die intergalaktische Saga eröffnet: „Galaxy's Edge". Rund zwei Milliarden Dollar hat Disney dafür investiert, im kalifornischen Anaheim wurde für das 5,7 Hektar große Areal sogar ein Fluss umgeleitet. Auch inhaltlich haben die Planer von „Galaxy's Edge" groß gedacht: Sie versprachen bei der Bekanntgabe der Pläne 2015 eine Welt, die so täuschend echt sein werde, dass der Besucher die Realität komplett ausblenden kann. Auch wenn manche „Star Wars"-Fans den Park kritisch sehen, weil sie den Ausverkauf ihres Allerheiligsten fürchten - für mich stand fest, dass ich ihn mit eigenen Augen sehen müsste.
Das Land meiner Träume liegt im hinteren Teil von Disneyland im kalifornischen Anaheim, einmal durchs Prinzessinnenschloss, dann links. Ich schreite durchs Tor von „Galaxy's Edge" und befinde mich augenblicklich in einem von Felsen umgebenen Tal auf dem Planeten Batuu, genau gesagt im Black Spire Outpost, einem kleinen Weltraumhafen in einem ausgetrockneten Flussbett. Triebwerkskreischen zieht über mich hinweg, so echt und nah, dass ich instinktiv den Kopf einziehe. Zwischen Kuppelbauten hängen zerfetzte Sonnensegel, innen baumeln dicke Schläuche von den Decken. Darunter rosten versiffte Tanks und vergitterte Kisten voller verstaubter Blaster, Energierucksäcke und Hydroschraubenschlüssel vor sich hin. Im getrockneten „Schlamm" der Straße entdecke ich die Radabdrücke eines Droiden. Es sind dieselben liebevoll arrangierten Details, mit der schon die Filme ihre Zuschauer verzauberten.
Ich flaniere über einen Basar, der an die Souks von Marrakesch erinnert. Ein Geschäft verkauft handbestickte Jedi-Roben, in einem Droiden-Depot kann man seinen eigenen kleinen Roboter zusammenstellen. Und in Dok-Ondars Antiquitätenladen warten echte Schätze: zum Beispiel ein ausgestopftes Wampa - ein Yeti-ähnliches Monster vom Eisplaneten Hoth. Oder ein Ölgemälde von Yoda, dem weisesten aller Jedi, oder Prinzessin Leias Zeremonienkette - aus echtem Silber, zu haben für schlappe 2000 Credits, Wechselkurs zum Dollar: eins zu eins.
Mein nächstes Ziel ist das Raumschiffdock am Ende der Hauptstraße. Hier steht der legendäre Millennium-Falke - jener zusammengeschusterte Raumfrachter, mit dem Han Solo und Chewbacca durchs Weltall wummerten. Mehr als 30 Meter lang ist der Nachbau. Der Antrieb flirrt, die hydraulischen Landevorrichtungen dampfen, als hätte das Schiff gerade erst aufgesetzt. Ich stelle mich an für einen Flug.
Gemeinsam mit fünf anderen Besuchern gehöre ich zur Crew von Hondo Ohnaka, einem ehemaligen Piraten mit lederner Haut und langen Zöpfen, der uns in Form einer mechanischen Puppe instruiert: Wir sollen Raumschifftreibstoff stehlen. Jeweils zwei von uns werden das Schiff steuern, die Bordkanonen bedienen oder Ingenieursjobs übernehmen. Ich springe in den Pilotensitz, schnalle mich an. Um mich herum: Hebel, Schalter, Hunderte flackernder LEDs. Die Cockpitfenster geben den Blick zu allen Seiten frei. Alles wirkt authentisch. Wie von Ohnaka instruiert drücke ich die blinkenden Schalter, die das Schiff starten. Kaum sind wir außerhalb der Atmosphäre, muss ich den Hebel ziehen, der den Falken auf Lichtgeschwindigkeit bringt und in den Hyperraum katapultiert. Die Sterne vor den Fenstern dehnen sich zu hellen Streifen - ein untrügliches Zeichen dafür, dass wir schneller sind als das Licht. Sekunden später erreichen wir unser Ziel, den Planeten Corellia. Natürlich werden wir von feindlichen Sternjägern attackiert. Mein Co-Pilot und ich steuern auf der Flucht an Stahlträgern entlang, wir schlingern durch enge Tunnel und rammen feindliche Jäger aus dem Weg. Das Mädchen hinter uns haut wie wild auf die Armaturen der Bordkanone, es blitzt und zischt und explodiert überall. Irgendwann ergattern wir einen der Treibstoffcontainer. Geschafft! Die ganze Crew bricht in Jubel aus. Obwohl wir alle wissen, dass wir nur Teil eines lebensgroßen Videospiels sind: Es fühlt sich so an, als hätten wir eben die Welt gerettet.
Als wir wieder auf den Gang treten, erzählen Crews aus einem der anderen Cockpits, dass bei ihrem Flug der Hyperantrieb ausgefallen sei, sie in ein Asteroidenfeld geraten seien und erst mal Felsbrocken wegschießen mussten, bevor sie weiterfliegen konnten. Andere Crews wollen sogar zwei Treibstoffcontainer erbeutet haben. Ich staune: Über den Verlauf des Falken-Flugs entscheidet offenbar tatsächlich die Besatzung.
„Galaxy's Edge" ist voll dieser interaktiven Erlebnisse. Alle Angestellten des Parks tragen ein Kostüm und spielen eine Rolle als Händler, Kellner, Straßenkehrer. Mich behandeln sie wie einen Besucher von einem anderen Planeten. Von Smartphones wollen sie noch nie etwas gehört haben, stattdessen benutzen sie „Datapads". Die Mietpreise machen ihnen keine Angst, dafür aber der Krieg zwischen der finsteren Ersten Ordnung, die den Planeten besetzt hält, und dem tapferen Widerstand. Zu ihm gehört die Spionin Vi Moradi, die sich gerade hinter einer Mauer versteckt und mich anfleht, die patrouillierenden Sturmtruppen von ihr abzulenken. Ich laufe auch Kylo Ren über den Weg, dem Anführer der Ersten Ordnung, der mich zermalmen will, wenn ich ihn nicht zum Camp des Widerständlers führe - was mich tatsächlich kurz einschüchtert. Und ich treffe Chewbacca, den zotteligen Co-Piloten des Millennium-Falken, dessen Sprache aus Heulen, Brummen und Knurren besteht. Ich verstehe kein Wort, aber er findet mich wohl nett, denn zum Abschied tätschelt er mir mit seiner großen pelzigen Tatze den Kopf ...
Disney geht mit „Galaxy's Edge" durchaus ein kreatives Risiko ein: Weil der Park in der Geschichte des Black Spire Outpost aus der im Dezember im Kino startenden „Episode IX" spielt, sucht man viele alte Bekannte wie Luke Skywalker, seinen Vater Anakin oder Obi-Wan Kenobi hier vergeblich. Sie alle gehören in eine andere Zeit, an einen anderen Ort. „Galaxy's Edge" ist also kein „Best of Star Wars", das mit möglichst vielen Lieblingsfiguren möglichst viele Besucher anlocken soll. Es ist nicht das endgültige Melken der Marke, wie sich manche Fans mokieren. Es handelt sich vielmehr um ein konsequent umgesetztes „Star Wars"-Teiluniversum, das in sich stimmig ist.
Immerhin entdecke ich noch Rey, die Heldin der aktuellen Trilogie. Sie gibt mir den entscheidenden Hinweis: Wenn ich wirklich etwas bewirken wolle für den Widerstand gegen die dunkle Seite der Macht, solle ich zu Savi's Workshop gehen. Dort, sagt sie, kannst du dir ein Lichtschwert bauen!
Der Eingang liegt versteckt zwischen ein paar Bäumen, davor steht eine ältere Frau mit schwerer Lederschürze, die Kapuze ihrer beigefarbenen Robe tief ins Gesicht gezogen. Nachdem sie sich vergewissert hat, dass niemand lauscht, verrät sie mir, dass sie zu einer Gruppe von Schrottsammlern gehöre, die den traditionellen Bau von Lichtschwertern am Leben hält. Dann sagt sie, dass sie nur einem Jedi vertraue und alle anderen zahlen müssen. 200 Credits, bitte. Ich kann nicht widerstehen, gebe ihr meine (sehr irdische) Kreditkarte und denke: Möge die Marktwirtschaft mit dir sein.
In einem halbdunklen Raum mit einer großen ovalen Werkbank erzählt uns ein schlanker Mann mit roten Locken von der Verantwortung, die der Besitz eines Lichtschwertes mit sich bringt. Wir sollen die Augen schließen, uns den Kristall vorstellen, aus dem unser Lichtschwert seine Energie beziehe und dessen Farbe die Einstellung des Trägers widerspiegele. Etwas albern finde ich das schon. Aber ich erinnere mich auch, wie oft ich mir als Kind genau das vorgestellt habe. Blau soll mein Lichtschwert sein, wie meine alte Geschenkpapierrolle. Blaue Lichtschwerter werden von Jedi getragen, die sich dem Schutz der Schwachen verschrieben haben.
Als ich die Augen öffne, präsentiert mir eine ältere Frau einen Kanister, aus dem mir Kristalle entgegenfunkeln, auch ein blauer. Ich nehme ihn, setze ihn in die passende Lücke des Stabs, der die Basis des Lichtschwertes bildet. Darüber lasse ich die Aktivatorplatten festschnappen, schiebe die Griffe über den Schaft, schraube die Knäufe und Emitterkappen fest - alles unter der Aufsicht der Assistentin, die immer wieder strenge Blicke über den Rand ihrer Brille wirft. Als ich fertig bin, wiegt sie mein Werk vorsichtig in den Händen, testet den Aktivator und steckt das Lichtschwert für den letzten Schritt in die längliche Kammer auf der Werkbank. Es wird dunkel, aus dem Nirgendwo erschallt plötzlich Meister Yodas Stimme: „Eure Zeit gekommen ist", ruft er in dem typisch verdrehten Satzbau, untermalt von der magischen Musik der Macht - und dann öffnen sich die Kammern mit den Schwertern. Sie leuchten grün, lila, rot, gelb, weiß, natürlich blau und erfüllen den Raum mit einem Knistern und Summen. Ich bekomme glasige Augen. Endlich: mein eigenes Lichtschwert ist fertig - mit Yodas Segen!
Als ich den Traum meiner Kindheit in den Händen halte und es wie die anderen Erbauer wie zum Schwur in die Höhe recke, begreife ich: Der wahre Zauber dieses Ortes liegt darin, dass die Abenteuer, die ich hier erleben darf, sich so episch anfühlen und gleichzeitig so intim. Die weit, weit entfernte Galaxis - sie ist mir so nah wie nie zuvor.