Viele Mädchen werden noch immer aufgefordert, freundlich und nett zu sein. Sich ständig unterordnen zu müssen, ist für Caroline Rosales der Anfang davon, dass sich Frauen später kaum sexuell artikulieren können und gehemmt sind, ihre eigene Meinung zu äußern. n-tv.de: Warum glauben Sie, dass sexuelle Selbstbestimmung für Frauen 2019 noch problematisch ist?
Caroline Rosales: Weil sich tatsächlich wenig geändert hat. Wenn ich an meine Kindheit in den 80er-Jahren denke, habe ich sehr danach gelebt, was die Jungs und später die Männer von mir wollten. Ich habe gelernt, dass man dem Onkel ein Küsschen gibt und für die Mama doch bitte das schöne Kleid tragen soll. Ich bin also damit aufgewachsen, dass man als Frau lieber harmlos und höflich sein sollte. Obwohl ich das immer hinterfragt habe, ordnete ich mich dem trotzdem unter. Sexuelle Verfügbarkeit ist etwas, das die ganze Zeit mitschwingt. Egal wie schön, intelligent und ehrgeizig eine Frau ist, sie muss sich immer daran messen lassen. Bei meinen Lesungen haben mir viele Frauen erzählt, dass es ihnen noch immer so geht. Auch wenn sie selbstbewusster geworden sind, geht es darum, den Jungs und Chefs zu gefallen.
Sie beschreiben einen Moment, in dem Sie nicht "Nein" zum Sex gesagt haben und überlegen, ob man diese Situation als "Verlegenheitssex" betiteln kann. Was meinen Sie damit?Verlegenheitssex ist natürlich ein Unwort und darf so nichtgenannt werden. Ich war damals im Ausland, als ich einen Mann mit nach Hause genommen habe. Ich hatte keine Lust mehr, es war aber zu umständlich Nein zu sagen. Ich glaube, das ist sehr verbreitet und ich würde ziemlich viel Geld darauf verwetten, dass viele Frauen schon mal so empfunden haben. Sie hatten keine Lust mehr, haben aber einfach mitgemacht, weil es zu spät war, den Mann abzumoderieren. In Kristen Roupenians Kurzgeschichte "Cat Person" wird so ein Moment Cat Person-Situation genannt.
Warum handeln Frauen so?Das ist sicherlich damit verbunden, wie man als Frau performen soll. Man muss sexuell verfügbar sein, um ein gewisses Image zu haben. Wenn ich mit einem Typen schlafe oder mit ihm "friends with benefits" am Laufen habe, dann ist das besser für meine sexuelle Identität: Ich bin beliebter in der Gruppe und in meiner Clique. Außerdem sind wir es seit unserer Kindheit gewohnt, in gewissen Situationen Harmonie zu stiften und niemanden zu verärgern. Das ist wirklich ein Problem. Ich habe aber auch schon die Erfahrung gemacht, dass mich Männer noch mal gefragt haben, ob wir Sex haben wollen, auch wenn wir schon bei ihnen Zuhause waren. Das war sehr angenehm und hat eine positive Wirkung, man bekommt erst recht Lust. Zum Glück wurde dieses Kapitel viel diskutiert und angesprochen. Ich hoffe, dass auch Männer über dieses Thema nachdenken.
Sie sprechen offen über Ihre Schönheitsoperation. War das ein schwacher Moment Ihrer feministischen Überzeugung?Ich bin mir gar nicht sicher. Ich glaube, ich würde das als gar nichts sehen. Das war sehr individuell. Nach der Schwangerschaft war bei mir alles sehr schwer, ich habe mich beim Sport nicht gut gefühlt. Ich wollte schöne Kleider tragen können und natürlich hat die Brustoperation den positiven Effekt, dass ich jedes Abendkleid wieder ohne BH tragen kann. Ich mag Mode sehr gerne, aber auch da: Mode wird von Männern für Frauen gemacht, die meisten Modedesigner sind nämlich Männer. Im Grunde war es vermutlich wenig feministisch, aber ich würde es jederzeit wieder machen, weil es sich noch immer körperlich sehr gut anfühlt. Ich möchte das auch gar nicht so ideologisch verpacken. Es ist gut, über dieses Thema zu reden, um anderen Mut zu machen, aber es bleibt eine persönliche Entscheidung, ob man darüber sprechen möchte oder nicht.
V erstehen Sie Ihr Buch als einen Beitrag zu der aktuellen feministischen Debatte?
Die #metoo-Debatte war für mich die größte Bürgerrechtsbewegung des Jahrzehnts. Sie hat uns wahnsinnig bewegt. Es hat sich viel verändert, nicht nur für Frauen. Auch was Genderrechte, Gleichheit am Arbeitsplatz und Schwulen- und Lebensrechte angeht, hat sich viel getan. Wir sind eine viel offenere Gesellschaft geworden und können Dinge plötzlich benennen. Ich habe mein Buch im Anschluss an #metoo geschrieben, damit die Debatte am Laufen gehalten wird. Es muss noch viel weiter gehen, es bräuchte noch viel mehr Bücher zu diesem Thema. Denn letztendlich hat sich noch nicht genug getan. Nur weil es #metoo gab, heißt es nicht, dass die patriarchalen Strukturen plötzlich verschwinden. Es ist wichtig, dass wir da dranbleiben. Mit meiner eigenen Geschichte zeige ich, wie es noch immer läuft.
Inwiefern nehmen Ihre Überlegungen über weibliches Wollen einen Bezug zu politischen Themen, wie zum Beispiel der Frauenquote?Nach allem, was ich gelesen und recherchiert habe, glaube ich, dass speziell in Deutschland die Dinge nur von oben geregelt werden können. Die Politik muss kommen und Reformen durchsetzen. Ich würde wirklich sagen, jedes börsennotierte Unternehmen mit über hundert Mitarbeitern braucht einen Kindergarten. Und es muss einfach eine Quote geben, sonst funktioniert es nicht. Man kann DAX-Unternehmen hart abstrafen, wenn sie die Frauenquotenicht erfüllen. Das ist die einzige Möglichkeit, sonst bleiben die "all-boys-clubs" für immer bestehen und an den Strukturen wird sich nie etwas ändern.
Das löst aber noch nicht die Probleme, die häufig im Privaten entstehen, oder?Caroline Rosales auf Lesereise
Die nächsten Termine:
9. Oktober Lit. Ruhr// Lesung mit Reyhan Sahin aka Lady Bitch Ray 18. Oktober Heidelberg//Karlstorbahnhof 7. November München//Heppel & Ettlich 13. November Regensburg // Hotel Orphee
Nein, in einer Partnerschaft ist es so, dass die Frau unbedingt mit ihrem Partner reden muss. Wenn sie schwanger ist, sollte darüber gesprochen werden, wer in Elternzeit geht. Natürlich muss das gut organisiert sein und man muss sagen, was man will und das dann durchsetzen. Es sollte keine Rolle spielen, wer mehr verdient. Als ich damals schwanger war, habe ich nicht das Gespräch mit meinem Partner gesucht. Er war also nicht nur seine Schuld, sondern auch meine.
Inzwischen sind Sie 37 Jahre alt und selbst Mutter. Was würden Sie jungen Frauen heute raten?Ich würde ihnen auf jeden Fall sagen, immer ganz viel an sich zu glauben, zu reisen und zu arbeiten. Auch Jobangebote anzunehmen ist wichtig. Ich habe damals mindestens zwei richtig gute Jobangebote ausschlagen müssen, als ich das erste Mal schwanger war und gerade mein Studium beendet hatte. Frauen sollten nicht denken, dass sie schon in jungen Jahren den perfekten Partner finden müssen, der kommt irgendwann von ganz alleine. Man muss sich nicht zu stark einem Lebensmodell unterordnen und sich keiner Gefälligkeit hingeben. Es gibt kein Ideal, das sind alles persönliche Entscheidungen. Erst mal sollte man sein eigenes Ding machen und sein eigenes Leben leben.
Mit Caroline Rosales sprach Larena KlöcknerQuelle: ntv.de
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