Un- oder unterbezahlt in Redaktionen zu schuften, kann sich nicht jede*r leisten. Was wir brauchen, ist echte Chancengleichheit.
Ein Stundenlohn von 0,00 Euro oder 1,87 Euro. So hoch ist die Wertschätzung als Praktikantin in der Medienbranche oftmals. Mehr als ein Jahr habe ich das insgesamt schon mitgemacht. Wenn ich gerade nicht un- oder unterbezahlt in Redaktionen geackert habe, habe ich in Kneipe, Club und Hotel gearbeitet, um mir den Weg in den Journalismus leisten zu können. Wenn ich dann beim obligatorischen Vorstellungsgespräch für das nächste unbezahlte Praktikum nach Urlaubstagen frage, ist mein Gegenüber irritiert. Ganz schön faul diese jungen Leute, steht euch Boomer*-innen dann ins Gesicht geschrieben. Ohne jeglichen Kontext zu beachten, erwartet ihr Gehorsam. Unhinterfragt und am besten mit einer ordentlichen Portion Bescheidenheit, damit ihr für all das nicht anständig zahlen müsst.
„Selbstfürsorge steigert die Effizienz"
Und ja, 40-Stunden-Wochen sind eine beschissene Idee. Das ist ein Relikt aus der Mitte des letzten Jahrhunderts. Damals war das echter Fortschritt. Aber ich persönlich esse gern in Ruhe und ich schlafe gerne genug und manchmal will ich auch Sport machen oder Freund*innen sehen. Was für ein überzogener Luxus. Fragt ihr euch wirklich, wo die ganzen Burn-Outs herkommen?
Aber bevor es soweit ist, mache ich ich jetzt erstmal meine unbezahlte Ausbildung. Eine Alternative wäre ein schlecht bezahltes Volontariat. Lehrgeld? Okay, aber das kann sich halt nicht jede*r leisten.
Dann müsst ihr eben damit leben, dass Journalismus allzu oft als elitäre Beschäftigungstherapie wahrgenommen wird. Oder fragt ihr euch wirklich noch, warum die Branche so wenig divers ist? Wie soll sich ein Arbeiter*innenkind den langatmigen Berufseinstieg ohne Einkommen finanzieren? Wie soll ein*e Alleinerziehende*r diesen Job stemmen? Wie soll jemand mit psychischer Erkrankung dem Druck standhalten? Wie soll eine Person mit einem Ehrenamt oder viel Care-Arbeit die Arbeitsbelastung aushalten?
Ohne echte Chancengleichheit, wenn sich das Verhältnis von mieser Bezahlung und übertriebener Belastung nicht verändert, wird sich nichts ändern. Dann könnt ihr weiter in der allmorgendlichen Redaktionskonferenz euren Einheitsbrei umrühren.
Vermutlich gibt es in jeder Redaktion Personen jenseits des weißen, gesunden Bildungsbürger-Sohnes. Aber warum müssen die es so viel schwerer haben? Mit eurem Fetisch für Ordnung, Fleiß und Gehorsam steht ihr der konstruktiven Diskussion einer neuen Arbeitsmoral im Weg. Öffnet euch für ein solidarisches Füreinander in den Redaktionen. Bringt endlich Verständnis für die individuellen Lebensumstände eurer Kolleg*innen auf. Fangt an das vielfältige kreative Potenzial zu nutzen, statt alles so wie immer machen zu wollen. Freundet euch mit der Realität an.
Ich werde euch keine 1950er-Arbeitsmoral mehr vorspielen. Für mich sind Schlafmangel, Fastfood, Scheidung und vor allem Selbstaufgabe keine heroischen Opfer. Ich glaube fest daran, dass guter Journalismus nur funktionieren kann, wenn alle mitspielen können.
Hier schreibt die 58. Lehrredaktion der Deutschen Journalistenschule über ihre Perspektiven auf den Journalismus und ihre Visionen für seine Zukunft.