Die Zahlen sehen gut aus, die Perspektiven nur bedingt: So ungefähr ließe sich der derzeitige Status quo der Branche für das Geschäft mit Musikaufzeichnungen, also das Geschäft mit Streaming, Tonträger und Downloads, zusammenfassen. Für Deutschland etwa meldete der Bundesverband Musikindustrie (BVMI) für die erste Jahreshälfte einen Gesamtumsatz von knapp einer Milliarde Euro, in den ersten sechs Monaten des Vorjahres waren es noch 990 Millionen. Global betrachtet haben allein die Major-Labels Universal, Sony und Warner fast 12,5 Milliarden Euro Umsatz gemacht.
Das sind auf den ersten Blick sehr erfreuliche Nachrichten. Sie sind natürlich dem Geschäft mit Streaming zu verdanken. 3,3 Billionen Mal wurden laut dem neuesten Halbjahresbericht von Luminate einzelne Stücke gestreamt - fast ein Drittel mehr als noch in der ersten Jahreshälfte 2022. Das sind allerdings nur bedingt erfreuliche, viel eher noch schlechte Nachrichten. Und zwar eigentlich für alle Beteiligten. Die Frage nach dem Warum wird uns umwendend zum zentralen Thema dieser Ausgabe des Quartalsberichts führen.
Warum ein neues Ausschüttungsmodell?Fangen wir mit dem Offensichtlichen an: Für die Plattformen ist es schlecht, wenn viel Musik gehört wird, weil sie dann mehr Tantiemen abdrücken müssen. Insbesondere gilt das natürlich, wenn der Zuwachs von Neuabonnent:innen stetig zu schrumpfen scheint und also perspektivisch beziehungsweise proportional betrachtet zunehmend weniger Geld reinkommt. Für Rechteinhaber:innen, das heißt vor allem Interpret:innen und Labels, bedeutet ein höheres Streaming-Aufkommen zugleich einen größeren Konkurrenzdruck im Kampf um Aufmerksamkeit einerseits und hartes Cash andererseits.
Dieses Dilemma ist zuvorderst darauf zurückzuführen, dass auf den meisten Streaming-Plattformen das sogenannte Pro-Rata-System angewendet wird. Verkürzt gesagt: Das Geld kommt in einen Topf und wird anteilig je nach Gesamtaufkommen von Streams verteilt. Lange Zeit wurde dem ein nutzerzentriertes Modell als Alternative gegenübergestellt, bei dem im Verhältnis zum Hörverhalten ausgeschüttet wird. Die Unterscheidung wurde schon in der ersten Ausgabe dieser Kolumne erklärt, deshalb soll ein kurzes Beispiel genügen.
Höre ich bei Spotify einen Monat lang ausschließlich das neue Album von Loraine James, geht ein Gros meines für die Ausschüttung vorgesehenen Abobeitrags an die Taylor Swifts und Drakes dieser Welt beziehungsweise ihre Labels, weil ihre Musik anteilig („pro rata") betrachtet auf Spotify am meisten gestreamt werden. Wenn ich es allerdings auf SoundCloud mit seinem nutzerzentrierten Modell mache, geht das Geld weitestgehend direkt an James.
Es ließe sich meinen, dass das nutzerzentrierte System das bessere ist, weil es sich nach dem tatsächlichen Hörverhalten der Menschen richtet und nicht nach der bloßen Anzahl von Plays. Tatsächlich wird seine Einführung in der Breite - aktuell ist SoundCloud die einzige Plattform, auf der es zur Anwendung kommt - vor allem aus dem Indie-Bereich der Musikszene gefordert, wo Fans nicht in Massen vorhanden sind und aber treu immer wieder ihre Lieblingskünstler:innen ansteuern.