Diplomatenkind, CNC-Fräser, Türsteher, Metal-Sänger, Betreiber eines Labels beim größten Major der Welt und verantwortlich für unter anderem die Karrieren der Kelly Family und Santiano: Zu sagen, dass Joe Chialo ein abwechslungsreiches Leben geführt hat, käme einer Untertreibung gleich. Mit Musik hatte er dabei oft zu tun, die Politik wurde erst vor Kurzem zum Beruf. Nachdem er in den Neunzigern bei den Grünen war und im Zuge des Balkankriegs aus der Partei ausstieg, legte er sich im Jahr 2016 ein schwarzes Parteibuch zu. Schnell machte er bei der CDU Karriere und wurde zum Direktkandidaten für seinen Berliner Wahlkreis sowie Mitglied des „Zukunftsteams" um CDU-Kanzlerkandidaten Armin Laschet bei der Bundestagswahl 2021 als Sprecher für die Themen Kunst und Kultur. Das Rennen machten damals andere, Chialo aber hat seit Ende April dieses Jahres ein neues Amt inne: Er übernahm die Nachfolge von Klaus Lederer (Die LINKE) als Senator für Kultur und Gesellschaftlichen Zusammenhalt und wird in der laufenden Legislaturperiode unter Bürgermeister Kai Wegner bis 2025 die Kulturpolitik Berlins maßgeblich mitgestalten. Das umfasst in der Hauptstadt eine ganze Menge - unter anderem ihre Clubkultur. Einigen mag es in der hiesigen Kulturszene wohl kalt den Rücken herunter gelaufen sein, als Chialo vor Amtsantritt verkündete, dass die „kulturellen und wirtschaftlichen Aspekte noch besser miteinander verheiratet werden" müssten. Aber der Clubszene? Eigentlich sollte die auf Rückhalt vertrauen können, ist ihre ökonomische Zugkraft schließlich klar bezifferbar. Doch folgte auf die überstandene Coronakrise sogleich eine weitere und sehen die Perspektiven düster aus: Inflation und Preissteigerungen allenthalben erschweren das vormals profitable Geschäft in der Breite und könnten langfristig für eine kulturelle Ausdünnung an der Basis sorgen. Höchste Zeit für ein Gespräch mit Chialo. Kristoffer Cornils traf den Senator zum Gespräch über seine seine kulturpolitischen Pläne, seinen Blick auf die derzeitige Krise sowie natürlich den umstrittenen Ausbau der A 100, für den sich seine Partei einsetzt und der für eine Reihe von beliebten Clubs das Aus bedeuten könnte.
GROOVE: Sie sind in der Musikwelt und auch der Clubkultur viel herumgekommen, waren unter anderem Türsteher im Nürnberger Mach1 und haben das Universal-Label Afroforce1 betrieben. Wie ist Ihre Beziehung zur Berliner Szene?
Deep! Die Berliner Clubkultur weiß mehr über mich, als andere über mich zu wissen glauben. (lacht)
Wie muss man sich das vorstellen: Ging es nach dem Feierabend bei Universal direkt rüber ins Watergate?
Meine Freunde M.A.N.D.Y. haben oft im Watergate aufgelegt - ich war regelmäßig dort. Aber nicht nur. Ich habe mich an den verschiedensten Orten... als Kultursenator sagt man „vergnügt", damals haben wir es „zerscheppert" genannt. (lacht) Früher war es für mich unvorstellbar, ein Wochenende mal nicht auf dem Dancefloor zu verbringen. All das war ein Teil meines Lebens, ich war Raver. Das hat nicht im Mach1 angefangen, sondern noch früher, im Kölner Wartesaal. Das war mein Sehnsuchtsort. Paul van Dyk, WestBam, Mark Spoon, Sven Väth, Marusha - das ist die Generation von DJs, mit der ich sozialisiert wurde. Für mich waren House und Techno am prägendsten. Ich durfte dieses Jahr Rave The Planet eröffnen. Für mich war das eine Art Homecoming in eine Szene, deren Mitglieder ich noch von früher kenne.
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