Der Schriftsteller Paul-Henri Campbell hat vor einigen Jahren in Anlehnung an das Konzept der Heteronormativität den Begriff der "Salutonormativität" geprägt: "Alles ist von und für gesunde Menschen gedacht, die Institutionen, die Metaphern, die Vorstellungen des gelingenden Lebens, unsere religiösen Kategorien", schrieb er. Salutonormativität ist zugleich unausgesprochenes Leitprinzip einer Welt, die sich an einem idealisierten Zustand der "Gesundheit" orientiert, wie sie Ausdruck einer bestimmten Ideologie ist, die sich in den Gegebenheiten ebenso ausdrückt, wie sie sie untermauert.
Was Salutonormativität zum Beispiel bedeuten kann, sind Stundenlöhne von durchschnittlich 1,46 Euro. Das ist gerade mal ein Achtel des gesetzlichen Mindestlohns. Ausgezahlt wird dieser Lohn in Werkstätten, in denen Menschen mit Behinderung arbeiten. Die dahinterstehende Annahme lautet pauschal, dass diese nicht dieselbe Leistung erbringen können wie "gesunde" Menschen, nicht denselben Wert erzeugen wie sie. Das bedingt, dass Menschen mit Behinderung von zahlreichen Bereichen des gesellschaftlichen Lebens ausgeschlossen werden, weil ihnen das nötige Geld dafür fehlt. Was umso mehr den Eindruck verstärkt, sie wären nicht in die Gesellschaft integriert. Das verstärkt den Ausschluss und verbaut die Perspektiven, weil es Zusammenschlüsse und kollektive Organisation erschwert.
Musik kann diesbezüglich wenig ausrichten, weil in der Musikwelt dieselben Mechanismen greifen. Tatsächlich könnte Clubkultur als nahezu perfekte Fallstudie für salutonormative Strukturen herangezogen werden. Das fängt damit an, dass so ein Rave immer auch körperlich anspruchsvoll ist und endet da aber noch lange nicht. Viele Clubs haben nicht einmal die Infrastrukturen, um Menschen, die auf einen Rollstuhl angewiesen sind, überhaupt Zugang zu garantieren. Bei anderen stellen sich die Probleme noch früher, etwa an der Tür: Kannst du ad hoc "richtig" antworten, wenn dir am Einlass eine Frage gestellt wird? Siehst du so aus, wie die Tür es für "korrekt" hält?
So gerne auch über marginalisierte Positionen oder Diversität gesprochen wird, bleibt es um das Thema Behinderung weitgehend still. Daran ist niemand im Einzelnen schuld, das will sicherlich auch niemand. Und doch spiegelt sich darin der Status quo einer Gesamtgesellschaft, zu der Clubkultur eigentlich einen Gegenentwurf anbieten wollte.