Thaddi: Rechnet man Remix-Platten und andere projektorientierte Arbeit aus der Diskografie von Stefan Betke raus, ist „Tempus" sein neuntes Album als Pole. Aber was sind schon Formate! Betke ist alte Schule und releast regelmäßig an den Gegebenheiten der Aufmerksamkeitsökonomie vorbei. Stünden mir Hüte, würde ich meinen jetzt als token meiner appreciation ziehen. Zwei Jahre nach „Fading" - einer Platte, die für mich noch heute wie ein großer Befreiungsschlag in seinem eigenen Werk klingt -, markiert „Tempus" die eigentlich überfällige Abrechnung mit eben jenem Werk. Die Zerlegung all der Komponenten in ihre molekularen Einzelteile, mit denen Betke seit Ende der 1990er-Jahre sein Alter Ego Pole definiert hat. Irgendwie ist alles zwar noch präsent, doch die Zeitachse ist zum großen Teil kaputt - hier noch viel mehr als beim Vorgänger „Fading". Die mitunter klare Rhythmik bietet kaum Halt. Der D/A-Wandler hat Husten, es sprotzt und tropft, die Soundstage ist unscharf montiert. Ich sitze inmitten dieser minimalistischen Reizüberflutung, greife mal nach der scheppernden Cowbell der 808, mal nach dem Klavierklang und dann wieder nach den schief brummendem Bumblebee-Strudel, bekomme aber nichts zu fassen. Und wisst ihr was? Ich fühle mich in genau dieser irritierten Rolle einfach sauwohl. Trotz aller Verlorenheit bekomme ich das in meinem Kopf gut verkabelt. Hier ist nichts laut, nichts crazy, nichts schrill. Ich mag das Assoziative. Das konnte Pole schon immer. Und das unverhohlen Mollige, das Flattrige. Und ich verstehe auch, wie sich genau diese Stichworte gegen das Album verwenden lassen. Trotzdem ist „Tempus" für mich keine museale Handreichung, sondern ein ziemlich freshes Angebot in einem trotz aller bröselnder Fragilität klar definierten Koordinatensystem.
Christian: Es gibt Pressefotos von Pole mit einer dicken Zigarre. Der Typ könnte so ein richtiger bossiger Griesgram sein, aber genauso gut eine knuffige Süßmaus. Und in ähnlicher Ambivalenz bewegt sich für mich auch dieses Album. In „Alp" zum Beispiel gibt es diese akzentuierten Snares. Da schleicht sich, wie auch auf anderen Stücken, so eine Art Dark-Jazz-Gefühl ein, mit dem ich mich persönlich partout nicht anfreunden kann. Dann wiederum gibt es einen Track wie „Stechmück", mit seinen Insekten-Mimikry-Sounds, die sind ja fast albern, aber im guten Sinne.
Thaddi: Das Album fällt für dich also auseinander?