Weit über 20 Alben hat Jóhann Jóhannsson in seiner Karriere veröffentlicht. Wer weiß schon, wie viele Tondokumente noch in der Schublade liegen, die posthum noch veröffentlicht werden könnten? Regelmäßig lassen Kristoffer Cornils und Thaddeus Herrmann das Werk des Komponisten Revue passieren - chronologisch, Album für Album. In der zehnten Ausgabe widmen sie sich einer Soundtrack-Arbeit, die erst sieben Jahre nach dem dazugehörigen Film veröffentlicht wurde: „White Black Boy" von Camilla Magid.
Kristoffer: Wir haben es nach Personal Effects bereits mit dem nächsten posthum veröffentlichten Soundtrack zu tun und nach Copenhagen Dreams mit der zweiten Auftragsarbeit des Jahres 2012. Der dritten wenden wir uns nächstes Mal zu. Wir merken: Mit Anbruch der Zehnerjahre nimmt Jóhannssons Karriere als Soundtrack-Komponist Fahrt auf. Und tatsächlich soll es noch eine Weile dauern, bevor er sich mit passion projects wie „End of Summer" und schließlich dem nächsten eigenständigen Album, „Orphée", zurückmeldet. Durch die eher still und leise vollzogene nachträgliche Veröffentlichung dieses Soundtracks im Jahr 2019 ist diese Musik so lange an mir vorbeigegangen, bis mir ein Blick auf unsere Planung für diese Serie als Reminder dafür diente, dass noch 13 bisher ungekannte Tracks auf mich warteten. Zuerst gehört habe ich sie dann eher lo-fi: übers Telefon. Es war ein schöner Tag im Spätfrühling und ich in der Küche am Werkeln, wenn ich mich richtig erinnere. „White Black Boy" lieferte den perfekten Soundtrack für diesen Moment und die eher mäßige Wiedergabequalität schien dem Ganzen eher etwas hinzuzufügen denn zu rauben: ein bisschen Patina. Die klebt sowieso auf vielen dieser Stücke in einer Art und Weise, wie das schon bei „Copenhagen Dreams" der Fall war. Nur ist der Grundton viel freundlicher, lichter - weniger melancholisch. Das überrascht angesichts des Sujets des Films. Wie dem auch sei: Ich mag diesen Soundtrack sehr. Der Erfolg des Films schien moderat ausgefallen zu sein, denn bei IMDB werden vom Algorithmus lediglich andere Indie-Produktionen als vermeintlich ähnliche Filme vorgeschlagen, zu denen Jóhannsson den Soundtrack beigesteuert hat - ein deutliches Indiz dafür, dass sonst kaum nachhaltiges Interesse daran existiert. Ich habe ihn nicht geschaut, würde das aber gerne nachholen. Wie geht es dir damit? Ich hatte im Vornherein den Eindruck, du seist zumindest von der Musik kein sonderlich großer Fan.