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"Ich war unglaublich stolz, als ich es doch geschafft habe"

Jennifer und Christian Juraschek.

Jennifer Juraschek erinnert sich noch genau an das von der Gegenfahrbahn heranschießende Auto. An die Notbremsung ihres Mannes Christian, der auf dem Motorroller vor ihr sitzt, bevor die beiden Deutschen auf den Asphalt der thailändischen Serpentinenstraße knallen. Die 29-Jährige weiß noch, wie sie versuchte, sich nach ihrem Mann umzudrehen, der zunächst regungslos an der Unfallstelle liegt. Sie erinnert sich an dicke, graue Elefantenbeine, die einige Meter entfernt vorbeitrampeln. "Surreal" beschreibt die Augenblicke, bevor die Ersthelfer bei den verletzten Deutschen eintreffen, wohl am besten.

Fünf Monate zuvor haben die Jurascheks aus Mettmann in Nordrhein-Westfalen ihr altes Leben mit festen Jobs als Content-Managerin in einem Chemieunternehmen und als Geschäftsführer im Onlinemarketing aufgegeben. Sie wollen die Welt erkunden und auf ihrem Blog Unaufschiebbar.de über ihre Abenteuer schreiben. Ihre Motivation: "Wir wollten dauerhaft Freiheit spüren, nicht nur im Urlaub." Nach traumhaften Wochen auf Bali und Lombok ist Chiang Mai im Norden Thailands ihre dritte Station.

Die Jurascheks wissen, wie gefährlich Zweiradfahrer auf Südostasiens Straßen leben. Sie tragen Helme, längere Kleidung und feste Schuhe, als sie am 5. Dezember 2017 Richtung Doi-Suthep-Nationalpark kurven. Christian Juraschek, 30, ist ein erfahrener Rollerfahrer. Er kann nur noch notbremsen, als auf der schmalen Straße plötzlich ein entgegenkommender Wagen ausschert. "Mit dem Bremsmanöver hat Christian uns wahrscheinlich das Leben gerettet", sagt seine Frau.

In zwei Privatkliniken in Chiang Mai werden die Deutschen notoperiert. Jennifer Jurascheks Becken und einige Rippen sind gebrochen, ihr Mann ist noch schwerer verletzt. Die Diagnose: Schädelbruch, die Elle und Speiche des rechten Arms sind gebrochen, Hüfte und ein Knie zertrümmert. Seinen rechten Fuß erwischt es am schlimmsten. Zwei Menschen, die die große Freiheit suchten, sind plötzlich Pflegefälle. Sie können nicht allein aufstehen, nicht auf die Toilette gehen. "Ein Alptraum", sagt Jennifer Juraschek.

Ein folgenreiches Versprechen

Nach zweieinhalb Wochen werden sie zurück nach Deutschland geflogen. Es folgen weitere Wochen im Krankenhaus und die Reha. Ein Psychologe und viele Gespräche mit der Familie und Freunden helfen, das Erlebte zu bewältigen. Während Jennifer Juraschek körperlich zusehends fitter wird, muss ihr Mann nach acht Wochen einen neuen Rückschlag verkraften: ein Kniescheibenabriss am rechten Bein. Wieder eine OP. "Das passierte zu einem Zeitpunkt, an dem wir eigentlich gehofft hatten, zeitnah wieder aufbrechen zu können", sagt Christian Juraschek.

Dass sie wieder losreisen würden, haben die Jurascheks einander fest versprochen. Besonders für sie, die nach einigen Wochen wieder vollständig rehabilitiert ist, steht die Entscheidung fest. Christian Juraschek plagt hingegen die Sorge, nicht mehr der aktive Mann von früher sein zu können. Doch der Traum von Freiheit ist nicht kleiner geworden, obwohl das Paar in den langen Genesungswochen immer wieder verzweifelte Momente hat.

Christian Juraschek weiß inzwischen, dass er seinen rechten Fuß wohl nie mehr anheben können wird. "Es hat eine Weile gedauert, bis ich das realisiert habe. Dann war es schlichtweg erschütternd", sagt er. Zwar wird eine stabilisierende Schiene dafür sorgen, dass er Treppen steigen kann. "Doch ich habe permanent das Gefühl, auf wackeligen Beinen unterwegs zu sein."

Manches geht, manches nicht mehr

Im Spätsommer vergangenen Jahres steigen die Blogger trotzdem wieder ins Flugzeug. Es stehen keine weiteren Operationen an. Nicht alle um sie herum können die Entscheidung nachvollziehen. Mit Krücke und Schmerzmitteln im Gepäck landen sie auf den Kanaren. "Uns war es für den Anfang wichtig, vor Ort ein gutes medizinisches Gesundheitssystem zu haben, um im Notfall schnell zurück nach Deutschland zu können", sagt Christian Juraschek. 

Stück für Stück tasten er und seine Frau sich auf Teneriffa an die Dinge heran, die vor dem Unfall selbstverständlich für sie waren: lange Wanderungen, Schwimmen im Meer. Als ein britischer Tourist ihnen abrät, mit Krücken im Teide-Nationalpark zu wandern, will Christian Juraschek es erst recht versuchen. "Ich war unglaublich stolz, als ich es doch geschafft habe", sagt er.

Zum ersten Mal nach dem Unfall haben die beiden auf den Kanaren das Gefühl, endlich wieder in ihrem alten Leben angekommen zu sein. Auch, wenn vieles nicht mehr so unbeschwert möglich ist wie früher, sie wollen zumindest probieren, was für sie geht - und was nicht. "Wenn es dann nicht funktioniert, können wir es immer noch von der Liste streichen", sagt Jennifer Juraschek. Surfen ist nun nicht mehr möglich. Genauso wie schnelles Aufstehen oder hohe Berge besteigen.

Die Reiseliste ist noch lang

Doch weil vieles unerwartet gut klappt, haben die Blogger sich nach dem Silvesterfest in Dubai Mitte Januar in jenes Land zurückbegeben, in dem ihre Reise so tragisch unterbrochen wurde: Thailand. Zwar wollen sie noch nicht zurück an den Unfallort in Chiang Mai, dafür genießen sie Phuket sehr. "Wir wollten Thailand einfach nicht so in Erinnerung behalten, und für die Unfallverarbeitung ist unsere Rückkehr wohl auch ein wichtiger Schritt."

Dazu gehört für die Jurascheks auch, sich wieder einen Roller zu mieten. Und sich Stück für Stück die Freiheit zurückzuerobern. Ihr Unfall ist häufig Thema. Fast täglich sprechen Touristen den knapp zwei Meter großen Deutschen mit den langen, blonden Haaren auf seine Fußschiene an. Die Folgen des Crashs sind auch häufig Thema in der Beziehung. Geschadet habe ihnen das jedoch nicht. "Jenny ist die geduldigste Person, die ich kenne. Das hat uns eher noch zusammengeschweißt", sagt Christian Juraschek.

Mittlerweile sind die beiden weiter nach Myanmar und Sri Lanka gereist. Nach einem kurzen Zwischenstopp in Deutschland, bei dem Christian Juraschek eine neue Fußschiene bekommen hat, wollen sie nun noch einmal zurück auf die Kanaren - natürlich mit einem One-Way-Ticket. Die Reiseliste der Jurascheks ist noch lang: Australien und Neuseeland, Hawaii, Bora Bora und die Malediven sind nur einige Ziele, die das Paar unbedingt sehen will.

Auf seine Krücke ist Christian Juraschek übrigens nicht mehr angewiesen. Die hat er auf den Kanaren versehentlich in einem Bus liegen gelassen. Und siehe da: Es funktioniert auch ohne. 

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