Wer in Sintra nicht verweilt, nur kurz durchläuft, findet das wirkliche Wesen der portugiesischen Stadt nicht. Denn sie ist mehr als eine fast in den Atlantik fallende Touristenattraktion am Rande Europas.
Das wirkliche Sintra liegt im Nichts, weil es nichts gibt, was so ist. Man findet es nicht im historischen Stadtzentrum oder im Park der Quinta da Regaleira oder wenn man Queijadas isst, die berühmten Käseküchlein, die nach nichts schmecken. Es hat auch keine Öffnungszeiten, und man muss dafür nirgendwo anstehen. Man findet es oben, im Nebel der Calçada dos Clérigos, aber wenn da jetzt alle hinrennen, findet man es dort oben bald auch nicht mehr. Es liegt etwas ausserhalb der Zeit, in einem selber oder in dem Teil Sintras, in dem Hans Christian Andersen hin und wieder wohnte, damals, als die Eisenbahn das 19. Jahrhundert in Europa so richtig überfuhr und alle schrien, dass das mit dem Reisen und der Poesie nun endgültig vorbei sei.
Reportage in NZZ am Wochenende, 26.09.2020