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Venezuela wählt neue Nationalversammlung: Nicolás Maduro regiert weiter autoritär - DER SPIEGEL - Politik

Es war einer dieser typischen Auftritte des Präsidenten: Vorlaut, provokativ, ein bisschen zu viel Pathos. Im dunkelroten Hemd und mit gefalteten Händen saß Nicolás Maduro am Dienstag bei einer Veranstaltung mit Jugendlichen.

Er werde seinen Job aufgeben, sollte die Opposition am Sonntag die Wahl zur Nationalversammlung von Venezuela ein weiteres Mal gewinnen, sagte Maduro. "Wenn wir siegen, geht es vorwärts, wenn die Opposition noch mal gewinnt, bleibe ich nicht. Dann verlasse ich den Präsidentenpalast", behauptete er. Die jungen Zuhörer sprangen auf undapplaudierten.

"Das ist purer Zynismus", kommentiert Alberto Barrera Tyszka diesen Auftritt. Maduro und seine Getreuen seien skrupellos, wenn es um den Erhalt ihrer Macht gehe, und würden diese niemals wieder hergeben, sagt der venezolanische Schriftsteller. Und das werde sich am Sonntag deutlich zeigen.

Die Neuwahl des Parlaments sei "eine Farce und Teil des venezolanischen Wahnsinns". Es könne keine Überraschungen geben, denn es gäbe nichts zu wählen, schließlich seien die einzigen Widersacher auf den Wahllisten diejenigen, die von der Regierung eingesetzt wurden. "Maduro will mit der Wahl die Opposition endgültig eliminieren", sagt Barrera Tyszka.

Tatsächlich spricht alles dafür, dass nach dem 6. Dezember mit dem Parlament die letzte frei gewählte Institution, die seit 2015 von der Opposition dominiert wird, gleichgeschaltet sein wird:

Die Anti-Maduro-Allianz um ihre Führungsfiguren Juan Guaidó und Henrique Capriles boykottiert die Abstimmung. Der Grund: Es gibt keine Garantien für freie und faire Wahlen.

Dieser Auffassung haben sich auch die Europäische Union und die USA angeschlossen.

Die EU wollte eine Verschiebung der Abstimmung erreichen, was die Regierung in Caracas mit dem Argument ablehnte, dass die Legislaturperiode nun mal Anfang Januar ablaufe.

Tatsächlich können Maduro und seine Gefolgsleute kaum erwarten, die letzte widerspenstige Bastion zu schleifen. Die vor fünf Jahren gewählte Nationalversammlung ist bis heute das letzte politische Gegengewicht zum autoritären Machtapparat Maduros.

Zwar wurden in den vergangenen Jahren die Kompetenzen des Parlaments durch Regierung und regimetreue Justiz nach und nach beschnitten, aber es blieb dennoch eine demokratische Institution, die auch als Ansprechpartner für weite Teile der internationalen Gemeinschaft diente. Als sich dann ihr frisch gewählter Vorsitzender Guaidó Anfang 2019 zum legitimen Staatschef Venezuelas erklärte und in der Folge versuchte, Maduro zu stürzen, schien ein Ende der Chavisten nach 20 Jahren an der Macht tatsächlich möglich.

Die Chavisten dominieren den venezolanischen Staat noch immer

Aber der junge Politiker hatte keinen Erfolg, auch wegen vieler Fehler, darunter dem missglückten Putschversuch am 30. April 2019.

Und so ist trotz seiner Anerkennung als Präsident in mehr als 50 Staaten nicht Guaidó Machthaber in Venezuela, sondern weiterhin sein Kontrahent Maduro, der Venezuela mittlerweile seit 2013 regiert. Die Chavisten, wie die politischen Erben des verstorbenen Präsidenten Hugo Chávez genannt werden, dominieren alle Institutionen des Staates - und die Armee.

60 Prozent der Venezolaner seien inzwischen vom 37-jährigen Guaidó enttäuscht, sagt der Meinungsforscher Luis Vicente Léon. So erkläre sich im Wesentlichen auch, warum die Bevölkerung kein Interesse an der Abstimmung am Sonntag zeige. Es gebe "null Hoffnung auf Wandel", sagt der Chef des Meinungsforschungsinstituts Datanálisis. Das Land, das unter der Corona-Pandemie leidet, ist zu einem chronischen Krisenstaat mutiert:

Die Währung Bolívar verlor binnen kurzem 60 Prozent an Wert,

die schleichende Dollarisierung der Volkswirtschaft schafft zusätzliches Chaos,

die Inflation liegt laut der Wirtschaftsberatungsgesellschaft Ecoanalítica dieses Jahr bei gespenstischen 1800 Prozent.

Und der Einbruch der Wirtschaftskraft könnte erneut bei 30 Prozent liegen.

Die Folge: Hunderttausende Menschen sind verarmt, leiden an Unterernährung oder hungern schlicht, wie eine Erhebung der Lebensbedingungen (Encovi) durch mehrere Universitäten konstatiert. Wenn vor diesem Hintergrund 34 Prozent der Wahlberechtigten an die Urnen gingen, sei das viel, sagt Meinungsforscher León.

Für Schriftsteller Alberto Barrera Tyszka ist klar: Venezuela stehen dunkle Zeiten bevor. Die Politik habe mit dieser Wahl als verändernde Kraft ausgedient, weil alle Optionen auf einen Wechsel beendet, die Opposition pulverisiert und Guaidó ohne Mandat seien.

In der Folge drohe dem Land eine neue Massenflucht. Meinungsforscher León ist weniger pessimistisch. Er erkennt an, dass Guaidó ein König ohne Reich sein, aber von den USA weiter als legitimer Präsident anerkannt werde, da Washington die Wahl am Sonntag als "illegitim" betrachtet.

"In Europa allerdings wird die Unterstützung für ihn bröckeln", glaubt der Experte. Aber Politik erfinde sich immer neu. "Es wird neue politische Figuren in der Opposition geben", sagt León. Vorerst aber hat Venezuela keine Wahl - auch an diesem Sonntag nicht.

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