Im ersten Mädchenfinale seit "DSDS"-Gedenken siegt die Schweizerin Beatrice Egli. Das war nur konsequent, denn Bohlen hat seine Show längst an eine neue Zeitrechnung angepasst: an die Schlagerfamilie. Von Kira Brück
"Die phänomenale Superstimme aus dem Erzgebirge" versus "Die einmalige Schlagerprinzessin aus der Schweiz" - so wurden die beiden Finalistinnen der zehnten Staffel " Deutschland sucht den Superstar" angekündigt. In Wirklichkeit war es der Kampf zweier Dauergrinserinnen, die sich als superauthentisch und volksnah darstellten.
Lisa Wohlgemuth und Beatrice Egli wussten, um was es geht: Sie mussten eine Projektionsfläche sein. Unbedingt, um jeden Preis. Lisa für alle Menschen aus dem Erzgebirge. Ach was, aus Ostdeutschland. Und Beatrice für alle Schweizer. Und die "Schlagerfamilie", der sie immer wieder einheizte: "Liebe Schlagerfamilie, wir stehen zusammen im Finale!" oder "Heute liegt mein Schicksal in euren Händen. Fangt mich auf und lasst mich fliegen". Ja, das ist kitschig. Aber weil die Zuschauer glauben wollen, dass diese Sätze ganz tief aus Beatrices Schlagerherz kommen, riefen sie für die Schweizerin an (ihr Vorgänger Luca Hänni stammt übrigens auch aus der Schweiz). Mit über 70 Prozent der Stimmen triumphierte die 24-Jährige. Doch die 500.000 Euro Preisgeld und der Plattenvertrag scheinen nicht ihr wahres Interesse zu sein: Egli hat eine Mission. Sie will die Volksmusik entstauben, sie jung und wild machen. Im Laufe dieser zehnten "DSDS"-Staffel hat sie das geschafft. Und das ist die eigentliche Leistung dieser jungen Frau, die am Anfang viel Ablehnung für ihre Sache von der Jury aushalten musste.
Ansonsten war dieses Finale unspektakulär. Fast so, als wäre es eine Generalprobe gewesen. Die üblichen Rückblenden auf eine ereignisreiche Staffel, Lobhudelei auf die entdeckten Talente und viel Wehmut von den Kandidaten. Jede der Finalistinnen durfte zwei selbstgewählte Stücke (Lisa: "Someone like you" und "Elektrisches Gefühl", Beatrice: "Morgen früh küss ich dich wach" und "Ich liebe das Leben") und zwei von Dieter Bohlen komponierte Songs ("Heartbreaker" und "Mein Herz") vortragen. Die Auftritte waren solide, Beatrice fast erschreckend professionell. Nur ein Skandälchen schaffte es in die Sendung: Juror Mateo bedankte sich ausführlich beim gesamten "DSDS"-Team, bei seinen Jury-Kollegen Bill und Tom, sogar bei seiner Mutter. Nur bei Dieter Bohlen nicht. Die Fehde zwischen beiden schaukelte sich den Abend über immer weiter hoch. Als Mateo meinte, Beatrice wäre von Anfang an eine fertige Künstlerin gewesen und er selbst hätte das gleich erkannt, kontert Bohlen: "Einige hier leiden unter schwerem Gedächtnisverlust". Das Gefühl machte sich breit, dass alle "DSDS"-Juroren erleichtert waren, ab sofort nicht mehr jeden Samstag an einem Tisch verbringen zu müssen.
Die größte Überraschung des Abends war allerdings Lisas nicht (mehr) existente Kehlkopfentzündung. Noch einen Tag vor der Sendung war nicht klar, ob der im Halbfinale ausgeschiedene Ricardo einspringen müsste. Lisa hatte komplettes Sprech- und Gesangverbot. Davon war bei der Show nichts mehr zu spüren oder zu hören.
Juror Mateo kommentierte nach Lisas erster Darbietung: "Ich habe keinen Unterschied in deiner Stimme gehört." Sie sang also durchschnittlich wie immer. An Adeles "Someone like you" arbeitete sich die der englischen Aussprache nur bedingt mächtigen Wohlgemuth dermaßen ab, dass es beim Zuhören schon wehtat. Aber wir alle wissen, dass es bei "DSDS" nicht um guten Gesang geht. Mateo resümierte: "Du bist halt real - und das ist viel geiler, als perfekt zu singen."
Doch das ist es, worum es beim "Wirbelwind aus dem Erzgebirge" tatsächlich geht: Lisa Wohlgemuth ist eine Projektionsfläche für ihre Fans. Die Kameras begleiteten sie vor ihrem ersten Auftritt bei einer Spritztour durch die Heimat. In einem Städtchen gab sie Autogramme. Ein Fan sagte strahlend: "Ich bin von Anfang an Fan von Lisa. Schon als ich wusste, dass sie Ossi ist." Das Geheimnis von Lisas Erfolg ist eben, dass sie Ossi ist. So wie das von Beatrice, dass sie Schlager liebt und das in jede Kamera gebetsmühlenartig sagt. Immer wieder. So hat "DSDS" nach zehn Jahren zum ersten Mal keinen Sieger, den die Teenagermädchen an den Bildschirmen süß finden. Diesmal gab es ein Finale der Lebensentwürfe: getuntes Auto, rote Haare, Turnschuhe versus romantische Melodien, beschauliche Schweiz, perfekte Föhnfrisur.
Und am Ende sehnen sich die Menschen eben vor allem nach heiler Welt. Das hat Dieter Bohlen früh erkannt und kurzerhand seine Sendung in "Deutschland sucht den Schlagerstar" umfunktioniert. Mit Andrea Berg als Gastjurorin, einem Auftritt von Heino und dem wiederholten Commitment, wie sehr er hinter Volksmusik und Beatrices Einstellung steht. Hier ist noch Geld zu verdienen. Vor allem für Bohlen selbst. Schlagerfans laden sich Songs nicht illegal im Netz runter. Sie kaufen Platten und gehen auf Konzerte.
Rétablir l'original