von Cheong Kin Man
Mit der von England und der Sowjetunion erzwungenen Abdankung seines Vaters bestieg 1941 der letzte iranische Monarch, Mohammad Reza Pahlavi, der den Iran bis zur Revolution 1979 regieren sollte, den Thron. Der Schah, oder „König der Könige“, erklärte in fließendem Englisch der internationalen Presse seine Ambition, eine „große Zivilisation“ wieder aufzubauen. Auf die Schwarz-Weiß-Aufnahmen des Iran folgen weitere Farbaufnahmen, erkennbar aus den 70er Jahren mit ihrer typischen fotografischen Körnung und ihrem Kontrast.
So vertiefte ich mich in die Archivbilder, welche die iranische Künstlerin Hengame Hosseini in ihrem experimentellen Kurzfilm „The Returning Hero“ der verwendet hatte Dieser Film wurde als Teil einer Kunstinstallation 2021 während des Rundgangs der Universität der Künste Berlin präsentiert. Es ist eine bekannte jährliche Kulturveranstaltung in der deutschen Hauptstadt.
Konventionell, wenn nicht gar banal betrachtet, wirkt der Film nicht ganz wie ein Video zu einer Ausstellung und wenn man ihn auf dem Rundgang anschaut, kann man seinen Inhalt vielleicht nicht ganz erfassen. Tatsächlich hatte der Film in den zehn Stunden, die ich an dieser deutschen Universität verbracht habe, als ich die Fragmente kennengelernt habe, nicht die Wirkung, die er danach auf mich hatte, wenn ich ihn zu Hause mit voller Aufmerksamkeit ansah. Es sieht aus wie ein Film über Iran, aber es ist ein Film, wenn ich es so sagen darf, über die Imagination der Geschichte, und diese Imagination ist provokativ, da Filme im Allgemeinen gesehen werden können: in vielerlei Hinsicht, einige bereits sehr bekannt, andere noch zu entdecken.
Vor den historischen Bildern westlicher Nachrichtenagenturen beginnt der Film mit privaten Videos und Instagram-Stories, die von der heroischen „Rückkehr“ eines Persischen Löwenpaars im Jahr 2019 berichten; einem Löwenart, mit der das ehemalige Kaiserhaus noch immer stark verbunden ist, obwohl sie seit vielen Jahrzehnten in diesem Land ausgestorben ist. Bei den Szenen, die ich als typisch für dieses Dokumentarfilmgenre bezeichnen würde, kommt eine Überraschung vor: das Volkslied „Baboli Koreh“, das 1978, ein Jahr vor der islamischen Revolution, vom Farah Choir in Wien auf fast dramatische Weise aufgeführt wurde. Die Chor war eine Initiative, die von der letzten iranischen Kaiserin Farah Pahlavi unterstützt wurde.
In den Worten der Regisseurin: „Der Film spielt mit den unterschiedlichen Formen der Realität und der Repräsentation, die der Persische Löwe in der iranischen Kultur als Symbol für Identität, Macht und Heldentum darstellt. Es handelt sich um eine Dokumentation, aber auch um ein filmisches Rätsel, zu diesem Thema, wofür ich Input in Videos, Liedern, Dokumenten, Interviews und Nachrichten gesammelt habe. Mit dem Film versuchen wir, einen Raum zu schaffen, in dem der Zuschauer mit verschiedenen Fragmenten der Geschichte konfrontiert wird, die ein Netzwerk von Ursachen und Hinweisen schaffen, um die Komplexität des Symbols des Persischen Löwen zu verstehen.“
Mit diesem Film, der Teil von Hosseinis Studien in „Kunst im Kontext“ unter dem Thema „Déjà-vu: Nostalgie und Symbolik des Persischen Löwen“ ist, wurde sie mit einem der „INITIAL – Sonderstipendien“ von der Akademie der Künste Berlins ausgezeichnet.
Das Stipendium veranlasst Hosseini nun, in ihr Land zurückzukehren, um ein weiteres Projekt fortzusetzen: die Produktion eines Experimentalfilms, der auf einer Reihe von Briefen an den verstorbenen belgischen surrealistischen Maler René Magritte basiert.
Ab 2016, als Hosseini noch als Ingenieurin arbeitete und Luftkissen produzierte, begann sie, Briefe an Magritte zu schreiben, und zwar in einem „Prozess der Anerkennung Magrittes und meiner Art, die Welt zu verstehen, die Zeit und Raum überschreitet“, wie die Künstlerin mir sagt . Seit ihrer Kindheit kennt sie die Skulptur „Der Therapeut“ von Magritte im Museum für Zeitgenössische Kunst in Teheran, die einmal mehr an die Zeiten eines imperialen Iran erinnert: Das Museum verfügt heute über „eine der besten Sammlungen der modernen westlichen Kunst in der Welt“, wie Elaine Sciolino in diesem Jahr in der New York Times in einem Artikel über Donna Stein, ehemalige Kuratorin des Kunstkuratoriums der Kaiserin Farah Pahlavi, schrieb.
Um es mit einem Satz des französischen Philosophen Gilles Deleuze zu sagen: Wir sind vielfältig. Oder zumindest scheint es, dass wir mehrere sind. Ebenso vielfältig scheinen unsere Blicke zu sein. Magritte hatte „Der Therapeut“ immer wieder als eine Art Selbstporträt gemalt. Die Skulptur hat auch sechs „Kopien“, die heute in verschiedenen Sammlungen auf der ganzen Welt verteilt sind.
Hosseini war sich zunächst des Einflusses der Lektüre des Buches „René Magritte: The Revealing Image“ von Xavier Canonne, Direktor des Belgischen Musée de la Photographie in Charleroi, nicht bewusst und erschuf aktiv fotografische Arbeiten mit von Magritte inspirierten Motiven. Insbesondere eines der Fotos aus der Serie „Not To Be Reproduced“ lässt sich visuell mit den beiden Gemälden Magrittes „Die Liebenden“ in Verbindung bringen.
Grundsätzlich ist für mich Hosseinis ursprüngliche Intention am relevantesten, unterschiedliche Sichtweisen zu provozieren, eine Intention, die die Anstrengung erfordert, über das Sehen hinaus zu denken. In diesem Sinne scheinen der kaiserliche Iran oder Magritte in den Werken der iranischen Künstlerinnen nur zwei Nebel zu sein.
Der Originaltext wurde am 31. Dezember 2021 in der portugiesischsprachigen Zeitung „Jornal Tribuna de Macau“ veröffentlicht. Diese verbesserte deutsche Version ist dank Charlotte Schmidt zur Verfügung. Der Autor übernimmt jedoch alle Verantwortlichkeiten allein.
https://cheongkinman.com/2022/11/02/vom-persischen-lowen-bis-zu-den-briefen-an-magritte/
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