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"Ich mach mein Hobby zum Beruf"

Viele träumen davon, aber nur wenigen gelingt es. Woran liegt's? Und wie lässt sich mit dem Herzensjob genug Geld verdienen?


Die ersten Versuche gingen schief. Der Stoff war zu steif, der Baby-Schal am Ende viel zu groß. Dennoch ließ Julia Mahler das Nähen nicht mehr los. Sie mochte die Arbeit mit den Händen, die Ruhe dabei. Auf den Schal folgten Kindermützen und -hosen, später auch Kleider und Blusen für sie selbst. Heute, zehn Jahre später, hat das Nähen in ihrem Leben einen so großen Platz eingenommen, dass sie kaum noch dazu kommt. Die 33-Jährige hat den Online-Shop "Stoffquelle" gegründet und dafür sogar ihren Job als Krankenschwester aufgegeben. Julia Mahler hat gewagt, wovon viele nur träumen: Sie hat ihr Hobby zum Beruf gemacht.

Eine berufliche Neuorientierung ist heutzutage viel einfacher

Das Versprechen dahinter klingt toll: "Wähle einen Beruf, den du liebst, und du brauchst keinen Tag in deinem Leben mehr zu arbeiten", lautet ein viel zitiertes Sprichwort, das - wohl zu Unrecht - dem chinesischen Philosophen Konfuzius zugeschrieben wird. Regale voller Ratgeberliteratur erklären, wie der vermeintliche Ausweg aus der Jobmühle gelingt, sei es als Imkerin, Autorin oder Zauberin. Generell ist es heute tatsächlich viel leichter, sich beruflich neu zu erfinden und seinen Job mit Spaß und Leidenschaft aufzuladen. "Früher haben die Leute nicht so die Möglichkeit gesehen, aus dem Korsett auszubrechen. Heute hinterfragen und ändern sie ihre Situation eher", sagt Friedericke Hardering, Professorin für Sozialwesen an der Fachhochschule Münster.

Der Trend hat sich durch die Corona-Krise noch verstärkt. Wer im Lockdown mit Freude Sauerteigbrot backte oder Socken strickte, kommt schon mal auf die Idee, dass sich damit auch Geld verdienen lässt. Und an dem Wunsch, den Lebensunterhalt mit etwas zu bestreiten, das mehr Lust als Last ist, ist natürlich auch gar nichts falsch.

Klappen kann es, wenn man ein paar Dinge beachtet und nicht blauäugig loslegt. Die Hamburger Therapeutin und Coachin Andrea vorm Walde empfiehlt erst mal einen Realitätscheck: Was bringt der vermeintliche Traumjob mit sich? Welche Kenntnisse und Fähigkeiten brauche ich? "Wenn ich zum Beispiel gern Tennis spiele, heißt das noch lange nicht, dass ich Tennislehrerin werden sollte", sagt sie. Die viel wichtigere Frage sei doch: "Bin ich gut darin, anderen etwas beizubringen?" Viele, die sich vom Schreibtisch auf den Tennisplatz oder in die Keramikwerkstatt träumen, vergessen zudem, dass auch ihr neuer Job sie wieder an den Schreibtisch bringen wird, etwa um Abrechnungen zu machen oder Verträge zu verschicken.

Der Weg der Selbstständigkeit

"Ich sitze nicht da und streichle Stoffe, sondern verbringe den Großteil meiner Arbeitszeit vorm Computer", sagt auch Julia Mahler. Bereut habe sie ihren Sprung in die Selbstständigkeit trotzdem nie. Das Nähen hatte sie nach der Geburt ihres ersten Sohnes für sich entdeckt, während der Elternzeit war sie dann immer tiefer eingetaucht in die Welt der Stoffe. Entdeckte kleine, nachhaltige Hersteller, startete einen Näh-Blog, fuhr auf Messen. Sie wusste: Wenn sie es probieren wollte, war jetzt die Gelegenheit. Noch während ihrer Elternzeit eröffnete sie 2017 ihren ersten Shop auf "DaWanda", der mittlerweile eingestellten Plattform für Selbstgemachtes. Im Keller richtete sie sich ein Fotostudio ein, abends packte sie Pakete.

Als "DaWanda" Ende 2018 das Aus verkündete, lief es für Julia Mahler schon so gut, dass Aufhören keine Option mehr war. Sie baute ihren eigenen Onlineshop auf. Ein großer Schritt. Denn was "DaWanda" ihr abgenommen hatte, musste sie nun selbst machen: eine Website bauen und ein Shopsystem anbinden zum Beispiel.

Was Selbstständigkeit wirklich bedeute, sei vielen gar nicht klar, sagt Coachin Andrea vorm Walde. "Weiß ich eigentlich, wie ich ein Geschäft aufbaue? Gibt es Abnehmer:innen für mein Angebot? Wie erreiche ich die Leute? Diese Fragen sollte ich mir stellen." Julia Mahler absolvierte deshalb einen Existenzgründungskurs. Ihre Steuern erledigt sie heute selbst, bei rechtlichen Themen lässt sie sich beraten. Aus der Angestellten ist eine Unternehmerin geworden. Die Vorstellung, als Krankenschwester jederzeit wieder einen Job finden zu können, findet sie trotzdem sehr beruhigend.

Corona machte der Selbstständigkeit einen Strich durch die Rechnung

Denn Gründen ohne Netz und doppelten Boden - das kann richtig Nerven kosten, egal wie sehr man für seinen Traum brennt. Undine Herold, 48, hat das gerade erlebt. 2017 hatte sich die Kommunikationsdesignerin nach vielen Jahren in einer Werbeagentur mit einer Schwimmschule selbstständig gemacht. Etwas von Grund auf Sinnvolles wollte sie tun. Und was passte da für die passionierte Schwimmerin besser, als Kindern beizubringen, nicht unterzugehen? Herold ließ sich zur Schwimmlehrerin ausbilden, arbeitete erst für andere Schulen, gründete schließlich ihre eigene. Bald bot sie 20 Kurse pro Woche an, auf Minijob-Basis konnte sie 14 Schwimmlehrer:innen anstellen. Finanziell ging es ihr besser als zu Agenturzeiten.

Doch Corona machte ihr einen Strich durch die Rechnung. Mehr als ein Jahr lang durfte die "Schwimmschule Undine" keine Kurse mehr anbieten. Die staatlichen Hilfsgelder waren nach zwei Monaten aufgebraucht. Herold schlug sich mit Onlinekursen für Baderegeln und mit Gelegenheitsjobs durch. Eine harte Zeit - bis die erlösende Nachricht kam: Seit Juni darf sie wieder Kurse geben. Den Sommer arbeitet sie nun durch. Und glaubt fest daran, dass die Nachfrage groß genug sein wird, sodass sie ihre Schwimmschule retten kann.

Der Wunsch nach Sicherheit einerseits, die Sehnsucht nach Selbstverwirklichung andererseits - das Dilemma treibt viele Gründerinnen um. Manche entscheiden sich deshalb ganz bewusst für einen Kompromiss, wie Birgit Imhof. Die 44-Jährige hat einfach zwei Jobs. Von Dienstag bis Freitag arbeitet sie halbtags als angestellte Sachbearbeiterin in einer Behörde. Den Rest ihrer Zeit steckt sie in den Ausbau von "Schnauzentrip": Mit dem Unternehmen bietet sie Events für Hundehalter:innen an, etwa Kanutouren oder Bastelworkshops für Hundeleinen. Und sie bildet Guides aus, die in ihrer Region eigene Angebote starten können.

Wenn der Traumjob zu kurz kommt

Aus dem Elternhaus, sagt Imhof, habe sie als Beamtentochter ein ausgeprägtes Sicherheitsdenken mitbekommen: "Ich bin nicht mit der Idee ins Berufsleben gestartet, dass ich mir meinen Traumjob suche, sondern dass ich mir irgendeinen Job suche." Nach dem Pädagogikstudium landete sie in der Arbeitsförderung. Doch ihre Liebe zu Kultur und Veranstaltungen kam ihr zu kurz. Schon als Jugendliche hatte sie Jugendfreizeiten und Dorffeste mitorganisiert, neben dem Studium Bands gemanagt.

Solche inneren Anlagen und Wünsche ließen sich auf Dauer nicht wegschieben, sagt Coachin Andrea vorm Walde. "Wer davon zu weit entfernt ist, ist permanent mit einem Störgeräusch unterwegs." Als Birgit Imhof sich einen Hund anschaffte und merkte, wie viel Geld Hundebesitzer:innen bereit sind, für gute Produkte und Dienstleistungen auszugeben, war die Idee zu "Schnauzentrip" schnell geboren. 2019 ging sie mit der Firma an den Start, in der Behörde wechselte sie in Teilzeit.

Zwar ist auch Birgit Imhofs Umsatz während der Corona-Krise eingebrochen. Doch Existenzängste treiben sie dank ihrer Festanstellung nicht um. Irgendwann, so hofft sie trotzdem, möchte sie mit "Schnauzentrip" so gut dastehen, dass sie sich frei entscheiden kann, ob sie ganz darauf setzen will.

Checkliste worauf sollte ich achten, wenn ich von meinem Hobby leben will? 1. Das Herz kontaktieren

... nennt es Coachin Andrea vorm Walde und meint damit, genau zu hinterfragen, warum man etwas zu seinem Beruf machen will: Ist das meine eigene innere Anlage? Oder "nur" meine Prägung und ich will unterbewusst Erwartungen von außen gerecht werden? Den ureigenen Anlagen sollte man möglichst nah kommen, doch auch eine Prägung wird man nie ganz abschütteln können.

2. Die Realität checken

Was bedeutet es ganz konkret, wenn ich mit meinem Hobby Geld verdienen will? Buchhaltung, Rechtliches, Marketing - gehört alles dazu. Einiges lässt sich auslagern, meist wird das Budget das anfangs aber nicht hergeben.

3. Lücken füllen

... kann man mit Weiterbildungen und Existenzgründungskursen, zum Beispiel bei der IHK.

4. Eventuell umdenken

... wenn der Plan vom eigenen Unternehmen irgendwann doch nicht mehr so verlockend wirkt. Oft lässt sich durchaus auch im aktuellen Job viel zum Positiven verändern, beispielsweise mit einem neuen Aufgabengebiet oder dem Wechsel in eine andere Abteilung. "Die wenigsten Menschen müssen gleich ihr ganzes Leben auf den Kopf stellen", sagt Andrea vorm Walde.

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