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In Schwaben ist Frau Holle eine Diva

Sie wären dann soweit: Thomas Geiger und sein Elektrolift im Schöntal, im Norden von Wiesensteig. Fehlt nur noch etwas mehr Weiß von oben. Allerdings gehört das Albvorland nicht gerade zu den schneesicheren Lagen. Foto: Markus Sontheimer

Wiesensteig. Nördlich von Wiesensteig gräbt sich ein Tal ins Albvorland. Hier sind die Buckel steil und die Tage schattig. Und hier steht eines der modernsten Kassensysteme für Skilifte. Es funktioniert berührungslos, wie die Apparate in den großen alpinen Skigebieten. Kosten: 72?000 EUR, eigentlich. Thomas Geiger hat es für ein paar tausend bekommen, „ein Schrottpreis". Geiger ist Pächter der Skilifte Wiesensteig - und ein Fuchs. 2004 überzeugte er die Lifte in Warth von einer Kooperation. Die österreichische Wintersportdomäne und das benachbarte Lech fusionierten vor drei Jahren zur Mega-Skischaukel. Die Zugangstechnik samt Drehkreuzen, Kodiergeräten und Software blieb übrig. Geiger griff zu.

Bis auf das Kartensystem sind die drei Lifte am Bläsiberg aber wie die meisten auf der Alb: ein wenig antiquiert. Baujahr 1963, 1967 und 1971. Im Sommer 2014 bekam der große Hauptlift eine Generalüberholung. Geiger und seine Helfer karrten die Einzelteile zum Seilbahnhersteller nach Vorarlberg, ein Riesenaufwand. Für 30 000 EUR besserte die Firma Verschleißerscheinungen aus. Vor Ort ging das nicht, es werden spezielle Geräte benötigt. Und die Anreisekosten eines Monteurs passen nicht ins Budget.

Der alte Diesellift hätte mittlerweile ebenfalls eine Reparatur verdient. Die hat Geiger verschoben. Denn wie die meisten auf der Alb baumeln die Schleppliftbügel am Bläsiberg auch häufiger im Wind, als sie Schneehasen auf den Berg ziehen.

Die vergangene Saison war besonders lausig. An gerade einmal sechs Tagen lief der Lift. Finanziell konnte Geiger noch vom starken Vorjahr zehren, sonst hätte die Gemeinde Wiesensteig einspringen müssen. Der Kommune gehören die Skilifte. Zu Geigers Glück sitzen im Rathaus Traditionsliebhaber: „Der Stadt ist es kein großes Bestreben, ein fettes Plus herauszuziehen. Sie will die Liftanlagen einfach erhalten."

Der Lift läuft auch im Sommer

Geiger, 52, übernimmt den Betrieb 1993. Schon als Schüler verbringt er dort seine freie Zeit. Später absolviert er eine Elektrikerlehre, er kennt sich also aus. Zu tun hat er gut. Auch bei 30 Grad. Im Sommer das Gelände mähen, im Herbst mulchen. Alle vier bis sechs Wochen schmeißt er den Lift an, damit sich keine Feuchtigkeit in die Kugellager nistet. Masten, Stationen und Motoren müssen regelmäßig geschmiert, jährlich Ölwechsel gemacht werden.

Im September kontrolliert er die Elektrik. Könnte ja sein, dass das Jahr über der Blitz eingeschlagen hat. Bis Oktober muss alles tipptopp sein. Dann kommt der Tüv, bei jedem zweiten Besuch röntgen die Prüfer auch das Seil. Im November kriegt der Kassenrechner ein Update. Drehkreuze werden aufgebaut, Bergstationen umzäunt, Schilder im Ort aufgestellt. Als letzter großer Akt vor dem Winter kommen die Gehänge mit den Bügeln auf die Seile. Rund 250 Arbeitsstunden ist Geiger pro Jahr hinten im Tal, knapp 20?000?EUR fallen für den Unterhalt an. Anfang Dezember, wenn schon eine dicke Raureifschicht die Landschaft frostet und nur der Schnee noch fehlt, sind die Schlepper startklar.

Geiger hat Helfer, ein gutes Dutzend. Formal firmieren sie als eigene Abteilung beim örtlichen Skiclub. Am Lift arbeiten sie nebenher für Mindestlohn. Auch Geiger selbst treibt eher Herzblut denn Finanzkalkül frühmorgens um 4 Uhr zum Pisten-Walzen. Sobald das Wetter stimmt, steht seine Mannschaft abrufbereit, „außer an Fasching."

An schneereichen Trubeltagen braucht er fast alle: für die Parkplätze, für die Kasse, an den drei Anlagen. Aber das Wetter: Schnee fällt, Lift läuft? So einfach ist das nicht. Es ist eine Wissenschaft für sich. Entscheidend sind nicht nur Schneequalität und Schneemengen. Vor allem die Uhrzeit, wann es schneit, zählt. Denn danach, sagt Geiger, soll eine Piste rund zehn Stunden ruhen und durchfrieren. Sonst werfen sich schnell Haufen auf, nachdem die ersten Carver und Boarder drüber sind.

Außerdem muss Geiger oft aus der Ferne entscheiden. Der Elektromeister arbeitet hauptberuflich in Leinfelden. „Und von Leinfelden sieht die Welt anders aus." Manchmal tut sie das bereits innerhalb weniger Meter. Während es in Wiesensteig taut, können hinten drin im kalten Loch, wo die Lifte stehen, Flocken fallen.

Wenn Sie es denn tun. Verlass ist darauf nicht auf der Alb. Nicht mehr? Für Geiger zeigt sich die Erderwärmung nicht zuvorderst in schneeärmeren Wintern. Die seien auf der Alb schon immer „absolut unbeständig". Null Betriebstage gab es in der Saison 2013/14 ebenso wie 1996/97 und 1989/90. Dafür lief der Lift 1990/91 an 24, 2004/05 an 50 und 2014/2015 an 27 Tagen. Guter Winter, mieser Winter, guter Winter, mieser Winter - laut Geigers Tabelle geht das die vergangenen 30 Jahre so. Allerdings beobachtet er immer häufiger Kapriolen: minus 12 Grad am Abend, am nächsten Tag der ganze Schnee geschmolzen, solche Sachen.

Der Traum von der Winde

Geiger hat sich gut vernetzt. Der Skilift Wiesensteig ist als einer von nur vier Albliften Mitglied im Verband Deutscher Seilbahnen. Die Organisation bündelt sonst Skizirkus-Magnaten vom Allgäu bis zur Zugspitze. Seit vielen Jahren beteiligen sich die Bläsiberg-Lifte an ihrer Freifahraktion für Kinder. Jedenfalls auf dem Papier. Die Praxis scheitert meist an braunen Albhängen. Thomas Geiger sagt: „Wir in den Mittelgebirgen ohne Schneekanonen sind die ersten, denen der Klimawandel an den Kragen geht."

Eine Beschneiungsanlage samt Flutlicht am Bläsiberg täte ihm schon gefallen. Und er träumt von einem einem neuen Pistenbully mit Winde. Allein für ersteres wäre aber 1 Mio. EUR fällig. So traditionsverliebt sind sie bei der Wiesensteiger Stadtverwaltung dann auch wieder nicht. Aber wer weiß, wo in den Alpen mal wieder ein Second-Hand-Schnäppchen zu haben ist.

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