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Wir.sind.Langwasser

Wie viele Menschen am vergangenen Dienstag glücklich über die Oppelner Straße gestrahlt haben, wird für immer ungewiss bleiben. Bleiben werden auf alle Fälle aber diejenigen, die ihre gute Laune aus höchster Höhe und in allen Farben des Regenbogens verbreiten. Denn in der Straße entlang des Frankeneinkaufszentrums stört ab sofort eine graue Hausfassade weniger den Blick. Stattdessen: ein Kunstwerk. Bunt, vielfältig, besonders. Langwasser halt. 
Zu verdanken ist das einem großen Päckchen Synergie, dass irgendwo beginnt beim bundesministerialen Modellförderungsprogramm „Utopolia – Soziokultur im Quartier“, das dem südlichsten und außergewöhnlichsten Stadtteil im Zuge des Projekts #LNGWSSR von StreetArt, Geschichtsschreibung und Nachbarschaftskonzerten schon allerhand fröhliche Ergebnisse beschert hat, und bei der Nürnberger Wohnungsbaugesellschaft „Ideal“ vorläufig endet. Dazwischen: Ideen, Esprit und jede Menge Farbe. „Man sieht die Menschen im Quartier gar nicht mehr“, bemerkte Projektleitern Manuela Bernecker im Herbst des letzten Jahres, und fand das nicht so gut. Umso besser dann die Idee der Fürther Künstler Barbara Engelhard und Stephan Schwarzmann: Wir machen was Interaktives, sammeln und Menschen und geben dem Stadtteil ein Gesicht. Ein richtig großes. Engelhard, seit bald 20 Jahren dafür bekannt, den Öffentlichen Raum zur Galerie zu machen und farbenvoll zu bestücken, und Schwarzmann, der als freischaffender Künstler zuletzt Unmengen Kinder (und deren Begleitpersonen) mit der „Murmelbahn“ beim Stadtpark-Kunstparcours „Lost & Found“ beglückte, zogen also los. Mit Lastenrad samt Fotoapparat und Sofortbilddrucker durch die Straßen des Quartiers auf der Suche nach kontaktlosem Kontakt, schreiben Vereine an und Kulturorte, erklären das Projekt und die Teilnahmebedingungen: keine. Zeig dich, lass dich abbilden von uns jetzt hier auf der Straße oder in Ruhe bei dir daheim. „Kaltakquise“, sagt Stephan Schwarzmann, und dass ihnen dennoch kaum Ablehnung widerfahren sei, sondern „durchwegs schöne Begegnungen.“ Schnell habe sich das Projekt mit dem Namen „Wir.Sind.Langwasser“ herumgesprochen, so Barbara Engelhard, „die Leute sind ja selbst Teil eines Kunstwerkes und finden dadurch schnell Zugang.“ Viele Bilder haben sie geschossen, viele zugemailt gekriegt. Alte Menschen und ganz junge, Familien und Paare, ganze Chöre. Der Postbote hat mit gemacht, der Gemüsehändler auch, zeigen sich, wie sie sich eben zeigen wollen, mal stolz, mal ganz leger, mal lustig oder ernsthaft, eingefärbt in „bunte Stimmungsfarben“, die jeder selber ausgesucht hat. Das Menschenmosaik strahlt jetzt von der Oppelner Straße 200 aufs FEZ-Gewusel – Ehrensache für die „IDEAL“: „Wir haben Künstler schon im Rahmen der Hinterhofkonzerte unterstützt“, berichtet Aufsichtsratsvorsitzender Helge-Herbert Reuter. Übers KUF kam „Wir.Sind.Langwasser“ zu Stadtrat Michael Ziegler, der sich nicht nur mit Verve fürs Kulturgeschehen engagiert, sondern auch bei „IDEAL“. Mit der Idee der Fassadenbehängung rannte Ziegler offene Türen ein – kein Pappenstiel, schließlich misst das bunte Puzzle stolze 6x20 Meter. „Kunst und Kultur sind das Lebenselexier Langwassers“, so Ziegler. „Jeder hier kann Farbe und Identifikationspunkte gut gebrauchen.“ Und man ist hier noch lang nicht am Ende mit dem Stadtteilentwicklungslatein. Mit „Wir.Schreiben.Geschichte“ soll die Trabantenstadtgeschichte weitererzählt werden, verrät Manuela Bernecker, die Stadtteilführungen wolle sie ausbauen, den StreetArt-Weekender nachholen. „Langwasser hat noch haufenweise Leinwände, die es zu gestalten gilt“, so die Projektleiterin. Zunehmend erfüllt #LNGWSSR die Leuchtturm-Funktion, die man sich hier vom Projekt erhofft. Mit großer Strahlkraft in den Rest der Stadt – und langsam aber sicher könnte man angesichts der Vielzahl großartiger Aktionen andernorts ein wenig neidisch werden.