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Commentaire

Freunde mit Kindern - eine (sehr ernsthafte) Auseinandersetzung

Rückblickend betrachtet kann man sagen, es ist erstaunlich, wie viel Wahrheit in meinen im Scherz dahingesagten Worten gelegen hatte. „Wenn du das machst, kündige ich dir die Freundschaft, ernsthaft!“, hatte ich ausgerufen. Meine damalige Freundin und ich lagerten auf einer Wiese, mit dabei ihr relativ frischer Nachwuchs. Die olfaktorische Beweislage machte einen Windelwechsel erforderlich, den die Freundin sich auf einem Tisch inmitten des angrenzenden, vollbesetzten Biergartens zu erledigen anschickte. Weil die mitgeführte Wickelunterlage ringsrum einen Zentimeter zu kurz war und das Kind Gefahr zu laufen drohte, von böser Wiese kontaminiert zu werden. Ich trug einen Sieg davon. 


Einen Phyrrussieg, wie ich heute weiß. Bei der letzten Begegnung mit der Kleinfamilie musste ich Zeugin werden, wie intelligente, interessierte, reflektierte Menschen der anthroposophischen Schule folgend dem Fünfmonatigen hingerissen dabei zusahen, wie es „selber essen lernte“, sprich in einer einstündigen Prozedur erkaltete Nudeln mit Zeug großzügig im ganzen Raum verteilte und Applaus erhielt, wann immer er es schaffte, zufällig eine Erbse mit der Faust zu erhaschen und die in die Nähe seines Mundes zu führen. Ich ging. Ich kam nie wieder. Es war nicht die erste Freundin, die sich fortgepflanzt hatte, wohl aber die mit dem bizarrsten Wesenswandel. Bizarr, das ist gewissermaßen auch, als kinderlose Frau der Metamorphose beizuwohnen, die von der coolsten Sau der Galaxis hin zum retardierten Hubschrauber vollzogen wird. Dass ich selbst keine Kinder habe, hat keinen besonderen Grund. Eine tiefsitzende Abscheu gegen Kleingemüse ist mir fremd, ebenso aber auch das, was immer als „inniger Kinderwunsch“ bezeichnet wird. Mit diesem Status bin ich nicht alleine, doch im Gegensatz zu anderen „kinderlosen Frauen mittleren Alters“ habe ich 1. das Glück, dass der Fortpflanzungs- und Nestbautrieb in meinem Umfeld sich bislang in überschaubaren Grenzen hält und 2. familienseitig auf drängende Nachfragen nicht nur verzichtet, sondern im Gegenteil darüber referiert wird, dass man sich für ein Enkelkind noch nicht bereit fühle. Kinder verschiedenster Altersstufen gehören also wohl zu meinem Leben, nicht aber zu meinem Alltag, und ich würde das mindestens als „friedliche Co-Existenz“ bezeichnen: Plärrst du mir nicht stundenlang die Nerven blank, kipp ich dir auch keinen Eimer Salz über’s Eis. 

Na gut, das ist gelogen. Die Kinder näher- bis engststehender Freunde, die liebt man dann schon ein bisschen sehr. Was bleibt einem auch andres übrig? Was dann meist mehr nervt, das sind die Eltern selbst. Erstens im Verhalten zu den Kindern. „Schatzi, möchtest du noch ein Eis? Oder lieber ein Leberwurstbrot? Sollen wir was spielen? Schau mal, ich hab Spielsachen dabei, ganz tollebrummbrummschaudoch! Zieh bitte sofort die Schuhe wieder an, Erde ist gefährlich! Und hast du Durst? Du hast doch sicher Durst, ich weiß das, ich bin deine Mutter!“ Das Kind möchte im Dreck sitzen und Regenwürmer streicheln. Ich möchte mich unterhalten. Beides ist nicht möglich. Mütter sind, ähnlich vielleicht der Pubertät, nicht mehr zurechnungsfähig, vergessen jeden Knigge, kennen nur noch diesen einen Planten, um den sie kreisen. Ich kannte (Imperfekt!) eine Mutter, die brachte es fertig, mir noch Fragen zu stellen bzgl. meiner Sorgen, meiner Freuden, meines Lebens, doch noch ehe ich anhob zu antworten, drehte sie sich um zum Kind und flötete „Ja schaaaaaaaaau mal wie toll du siiiitzen kannst tooooooll machst du das!“ und so weiter. Man hört dann irgendwann auf, erzählen zu wollen. Man hört dann irgendwann auf sich zu treffen. Man stört ja doch nur. 

Vielleicht bin ich auch selbst schuld, weil ich zu rücksichtsvoll bin. Ich erzähle relativ wenig von der Arbeit. Obwohl ich weiß, dass ein Großteil meiner diesbezüglichen Erlebnisse für die meisten Menschen primaspannend sind, so ist’s für mich trotzdem Alltag und darum nicht weiter erwähnenswert. Wenn mich was beschäftigt, dann möchte ich darüber sprechen, aber auch das ist irgendwann wieder gut, mein Gegenüber kommt meist aus einer anderen Welt, und so kennt das Verständnis natürliche Grenzen. Nicht so das Elterntier! Ohne Rücksicht auf Verluste wird dann nur und ausschließlich noch über anstehenden oder ausgestandenen Nachwuchs schwadroniert. Wer früher Bierpreise verglichen hat, vergleicht jetzt Windelangebote, wer früher auf Knien durch Scherben in der Disko geschlittert ist, sucht jetzt Wiesenabschnitte mit der Lupe nach Unrat ab, wer früher nächtelang über das Wohl und Weh der Welt debattiert hat, der monologisiert jetzt Stiftung Waren-, Öko- und Allestest von Folgemilch. Eine Zeit lang kann man mit machen. Irgendwann wird der Atem kurz, die Nerven dünn. Neulich spazierte eine Truppe Mütter an mir vorbei, den Nachwuchs in allen erdenklichen Varianten an sich gebunden und gekettet, und alles, was ich im Vorbeigehen hörte, war „... und um 15.30 Uhr bekommt er dann nochmal 100 Gramm und um 17.15 Uhr dann …“ Kurz wollte ich brechen. 

Kann es, muss es das wirklich sein? Kann man nicht einfach schweigend vor sich hin gebären und erziehen und trotzdem bei Sinnen bleiben? Und falls ja: wie? Menschen bekommen Kinder, das ist toll. Aber ist es wirklich nötig, sich dabei auf eine Entwicklungsstufe mit der Brut zu begeben und auf dieser zu verbleiben? Wie es der Zufall will, bekam unlängst ein enger Freund ein Kind. Freilich bekam es eher seine Frau, aber seit der Stunde der Geburt ist der Mann, der noch wenige Tage vorher heiter abwinkte, Geburt als Klacks bezeichnete, von Körperflüssigkeiten jedweder Couleur nichts wissen und von stundenlangen Schmerzensschreien nichts hören wollte, ein anderer Mensch, der „Geburt“ nicht nur miterlebt, sondern nachgerade erfunden hat und mit leicht angeödeter Kennermiene über Gelbsucht fachsimpelt, wovon er zuvor noch nie gehört zu haben ich beschwören würde. Gut, jetzt kann man sagen, das ist alles noch recht frisch, doch die Entwicklung bleibt mit Spannung abzuwarten. Nicht minder spannend aber wird der Umstand, dass meine beste Freundin grad in anderen Umständen ist. „Das kann ja heiter werden“, dachte ich, und es wurde heiter. Bis zu dem Punkt neulich, als ich frug: „Du sag mal, wie machen wir das dann eigentlich, wenn du dann später so eine monothematische Hubschraubermutter bist? Weil du hast ja immer drauf bestanden, dass du keinesfalls so werden willst und ich dir das dann sagen soll, wenn’s soweit ist.“ Sie schluckte kurz und sprach: „Dann muss ich mir eben andere Freundinnen suchen.“ Dass das so nicht passieren wird, wissen wir beide. Je enger die Freundschaft, desto größer die Mitleidensfähigkeit. Aber so wie die Elternfreunde selbstverständlich von einem verlangen, dass man sich mit der neuen Situation nicht nur arrangiert, sondern mit Gefühl und Verve herumagiert, so muss man doch auch ein klitzekleines bisschen von den Eltern erwarten dürfen, dass sie in lichten Momenten der Selbstreflexion erkennen, dass man sie nicht einst zum Lieblingsmenschen auserkoren hat, weil man so wunderbar verrückt auf dem Spielplatz sitzen und über Dinkelpastinakenbrei schwadronieren konnte, während man an der siebten Agavenlimo sog.