Die Wiener Nachtszene hat eine ganze Reihe an legendären Lokalen zu bieten. mokant.at hat sich auf die Suche gemacht und stellt sie diesen Sommer vor.
In den Gassen rund um den Wiener Naschmarkt tummeln sich immer noch viele Menschen. Beinahe alle Tische vor den Lokalen scheinen besetzt zu sein. Bunte Blumenarrangements und gefüllte langhalsige Gläser schmücken die Tische, an denen laut gelacht und gesprochen wird. Es ist ein sehr warmer Dienstagabend im Mai. Die Freude über die laue Luft ist unverkennbar. Um kurz nach 21 Uhr biegen wir von der rechten Wienzeile in die Faulmanngasse ein, eine kleine unscheinbare Seitenstraße. Neben einem bereits geschlossenen Asiashop stehen drei Fahrräder, die an eine dumpf leuchtende Straßenlaterne gekettet sind. Aus den weit geöffneten Glastüren des nächsten Hauses dringen bereits laute Stimmen. Eine aufgestellte schwarze Tafel, die direkt davor steht, gibt uns Auskunft. Mit weißer Kreide steht darauf geschrieben „Herzlich willkommen im legendären Wiener Blut".
Als wir eintreten schlägt uns, trotz der geöffneten Türen, eine dicke Rauchschwade entgegen. Das kleine Lokal, das von einer halbrunden Bar und zwei Stehtischen dominiert wird, scheint gut besucht zu sein. Sofort richten sich neugierige Augenpaare auf uns, wenden sich jedoch gleich wieder ab, um sich erneut ihrem Gegenüber oder dem Fernsehgerät an der Wand hinter der Bar zu widmen. Es läuft das Champions League Spiel Juventus gegen Real Madrid. Einige Gäste mit Bier in der Hand stehen an der Bar und tauschen sich darüber aufgebracht aus. Obwohl auch erstaunlich viele junge Menschen hier sind, scheinen wir den Altersschnitt deutlich zu senken. Kurz haben wir das Gefühl zu stören. Wir ergattern uns eifrig einen der freien Barhocker, auf den wir unsere Handtaschen ablegen und stellen ihn zu einem der Stehtische. Die Wand hinter uns ist mit dunkelrotem Plexiglas verkleidet, auf dem in schwarzer Schrift über sämtliche Getränke sowie über die zugehörigen Preise informiert wird. Weiter hinten klebt ein Plakat mit dem Slogan „Averna Night" in dessen obere linke Ecke Jemand „Immer" geschrieben hat.
Falco lebt! „Meine Damen, was darfs sein?", ruft uns der Herr mit dem kurzärmeligen schwarzen Hemd und einem Silberkettchen am Handgelenk hinter der Bar herüber. Sein Name ist Roman und er ist einer der zwei Besitzer des „Wiener Blut". Unsere Bestellung wird von ihm mit einem netten Zwinkern zuerst an die zu ihm näheren Gäste gereicht und anschließend an uns weiter. Als uns im nächsten Moment auch noch ein Glas Soletti auf den Tisch gestellt wird macht sich die lockere Atmosphäre erst bemerkbar und unsere anfängliche Anspannung legt sich. An der verspiegelten Wand hinter der Bar stehen auf schmalen gläsernen Regalen etliche Flaschen mit Spirituosen und anderen alkoholischen Flüssigkeiten eng aneinander gereiht. Darüber stapeln sich Gläser in unterschiedlichen Größen und Formen, von denen Roman gerade vorsichtig zwei Weingläser hinunter nimmt, um sie mit Weißwein zu füllen. Obwohl das Licht gedimmt ist und hauptsächlich die Bar beleuchtet wird, erkennt man an der uns gegenüberliegenden Seite eine Reihe an Bilderrahmen, die mit Fotos berühmter Personen, wie Falco, Wolfgang Ambros und Lionel Richie, dekoriert ist. Aus der Entfernung sind auch die dazugehörigen Autogramme in den Rahmen zu sehen. Ganz oben, beinahe schon am Umbruch zur Decke des Raumes befindet sich neben einem Poster von Marylin Monroe ein Schwarzweiß Bild von Falco mit der Aufschrift „Falco lebt!". Wie wir später in Erfahrung bringen, geht der Name des „Wiener Blut" auf das gleichnamige Lied von Falco zurück. „So wie seine Lieder sind, so lebt auch das Wiener Blut", erklärt uns Roman mit einem zufriedenen Blick in das volle Lokal.
Als das Fußballspiel irgendwann zu Ende ist und jene Gäste, die deswegen gekommen sind, die Kneipe verlassen, setzen wir uns an die freigewordenen Plätze an der Bar. Das „Alles in Ordnung?" vom Besitzer beantworten wir mit einem freundlichen Nicken und bekommen eine bis zum Rand gefüllte Schale mit Erdnussflips serviert. Nun ertönt aus einer Stereoanlage am Kopf der Bar ein einstimmendes Lied. „Atemlos" von Helene Fischer. Von dem hinteren Stehtisch vernehmen wir leises Singen und ein kleiner Mann mit roten Bäckchen stellt sich zur Bar und beginnt zu tanzen. Als Roman für eine Gruppe an Herren ein Würfelpokerbrett bereitstellt, ruft Einer von ihnen, der bereits die ganze Zeit die Runde zu unterhalten scheint, mit lauter Stimme „Roman, Spritzer!". Der Barbesitzer hantiert sofort geschickt an dem Zapfhahn herum und stellt uns, nachdem er dem ungeduldigen Gast sein Getränk zubereitet hat, mit den Worten „Damen, von mir für euch!" auch drei weiße Spritzer auf den Tresen. Wir freuen uns über die nette Geste und verfolgen belustigt den immer noch tanzenden Gast neben uns.
„Wir sind eine Familie hier drinnen" Als das nächste Lied anfängt zu spielen und eine Dame sofort lauthals einstimmt, klatscht Roman mit ihr ein, da sie als Eine der Wenigen das Lied zu kennen scheint. Beinahe alle Gäste, die sich nun an der Bar befinden, sind mit dem Besitzer per du und kommen sichtlich öfter in das „Wiener Blut". Ein älterer Herr mit brauner Lederjacke und weißen Haaren neben mir beginnt zu lachen und sagt in meine Richtung „Solche Kneipen sind schon was Nettes, viel persönlicher halt." Er rückt seine dicke Hornbrille zurecht und trinkt sein restliches Bier auf einen Satz aus. Anschließend erklärt er mir, dass er immer gerne auf einen Sprung hierher vorbeikomme. „Wir sind eine Familie hier drinnen", setzt Roman ein und lächelt. Vor nun bereits zehn Jahren hat sein Partner Rudi das davor leerstehende Lokal übernommen und als „Wiener Blut" neueröffnet. „Ich bin vor sechs Jahren als Partner eingestiegen", gibt uns Roman preis. Seit dem steht er fast jeden Tag hinter der Bar und bedient seine Kundschaft, die zu ungefähr 99 Prozent aus Stammgästen besteht.
Unser Gespräch wird von den Worten „Gib mir die offene Rechnung!" des Herrn mit der Hornbrille unterbrochen. Der Besitzer geht dem Wunsch seines Gastes gleich nach, worauf dieser bezahlt und sich höflich von allen verabschiedet. Obwohl sich das Lokal bereits deutlich geleert hat, wirkt es immer noch voll. Die Luft scheint zu stehen und die Temperatur merklich zu steigen. Als Roman bemerkt, dass sich der Inhalt unserer Gläser dem Ende neigt, bietet er uns gleich drei Erdbeer-Vodkashots aufs Haus an. Wir möchten nicht unhöflich sein und nehmen sein Angebot aufmerksam an. Es kommen zwei neue Gäste ins Lokal und platzieren sich an den Stehtisch gleich bei der Türe. Roman begrüßt sie mit einem Nicken und ahmt sie schmunzelnd nach „Schau ma noch zum Roman, der hat sicher noch offen.". Während er einige leere Gläser von der Theke räumt, meint er, dass man wegen drei Dingen ins „Wiener Blut" komme. „Der Atmosphäre, der Austro-Pop Musik und hauptsächlich wegen mir. Man kommt wie zu einem Freund halt...Oder wenn man nicht heimgehen will", fügt er dann halblaut hinzu.
„It's Showtime" Ein neues Lied ertönt aus der nun laut aufgedrehten Musikanlage. „Sempre Sempre" singt die Stimme immer wieder. Einige der Gäste und auch Roman stimmen passend ein. Er greift zu einem Plastikmikrofon, das mit goldener Folie überzogen ist und gibt das italienische Schlagerlied zu seinem Besten. Es scheint niemanden zu stören, dass das Mikrofon gar kein echtes ist. Ganz im Gegenteil. Alle Gäste wirken erfreut und jubeln dem Barbesitzer hinter der Theke zu. Eine blonde junge Frau ruft laut „It's Showtime" und meint amüsiert zu uns „Das mit dem goldenen Mirko, das macht er immer". Die Stimmung ist ausgelassen und es wird noch eine Runde für alle ausgegeben.
Nun ist es bereits zwei Uhr, als wir müde und leicht angeheitert entscheiden den Heimweg anzutreten. Wir bezahlen und verabschieden uns von Roman mit Bussi links und rechts sowie mit einem kollektiven „Tschüss" von den anderen Gästen. Der Besitzer bedankt sich sichtlich erfreut über unseren Besuch. Als wir bereits beim Ausgang stehen ruft er uns noch nach „Die Nacht zum Tag machen. Dafür ist das Wiener Blut bekannt". Mit diesen Worten in den Ohren verlassen wir das legendäre „Wiener Blut" und treten in die immer noch laue Nacht hinaus.
In: mokant.at, 2015
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