10 abonnements et 11 abonnés
Article

Was nicht nur Männer von Barbies Ken lernen können

Eine Extraportion Ken-ergy, bitte! Quelle: dpa/Jaap Buitendijk

Er man-splaint nicht, ist loyal, ehrlich und nimmt sich nicht so ernst - die Verfilmung von „Barbie" zeigt mit Ken einen ganz speziellen Typ Mann. „Ken-ergy" könnte zum Begriff der Stunde werden. Was sich dahinter verbirgt und warum Ken plötzlich zum Vorbild taugt.


Es ist eher ungewöhnlich, dass eine Hollywood-Komödie schon Monate vor dem Kinostart immer wieder Schlagzeilen macht. Doch wenn Barbie auf der Leinwand zum Leben erwacht, sieht die Sache anders aus. Die berühmteste Puppe der Welt ist eben auch die umstrittenste: Die einen sehen in der blonden Ur-Version mit der hyperschmalen Taille und den absurd langen Beinen eine Gefahr für kleine Mädchen, die unrealistischen Schönheitsidealen nacheifern könnten.

Die anderen verweisen auf Barbies Vorbildcharakter als vielseitige und unabhängige Frau. Immerhin war sie schon Pilotin, Modedesignerin, Feuerwehrfrau und Astronautin, verdient ihr eigenes Geld, hat ein eigenes Haus und einen ganzen Fuhrpark aus schnittigen, oft pinkfarbenen Sportwagen und Caravans.

Schon in ihrem ersten Auto, einem pfirsichfarbenen Austin Healey, saß 1962 auch ihr Freund Ken - auf dem Beifahrersitz. Sechs Jahrzehnte später, das verraten erste Film-Ausschnitte, fährt Barbie eine zuckerwattepinke Corvette. Diesmal wartet Ken sogar auf dem Rücksitz auf seine Freundin. Kenneth Sean Carson, Spitzname Ken, wurde 1961 erschaffen. Anders als die zwei Jahre ältere Barbie war er bisher nur selten Gegenstand großer Debatten - bis bekannt wurde, dass ihn im Film der 42-jährige Ryan Gosling spielt. Gosling sei zu alt, hieß es, und nicht attraktiv genug.

Er sei immerhin 20 Jahre jünger als die Figur, die er verkörpere und habe das nötige Comedy-Talent, so die Gegenseite. Als Gosling dann in einem Interview sagte, dass er anfangs gezögert habe, die Rolle anzunehmen, ließ er - ohne nähere Erklärung - den Begriff fallen, der seitdem leidenschaftlich zitiert, interpretiert und kommentiert wird: „Ken-ergy".

Die US-„Vogue" erkennt besagte Energie in betont lässiger Männermode, das Online-Magazin „AV-Club" wagt anhand weiterer Beispiele aus der Popkultur eine Definition: Joey aus der Kult-Serie „Friends" etwa und der von Chris Hemsworth gespielte Thor in den „Avengers"-Filmen seien wie Ken mit wesentlich mehr Attraktivität als Intelligenz ausgestattet, grenzenlos loyal, immer ehrlich und humorvoll.

Die Spezies der Kens behält selbst in Krisen ein Lächeln auf den hübschen Lippen - zugegeben, im Falle des Original-Ken von Mattel ist dieses Lächeln ein ewiges und unfreiwilliges, aber es scheint die Ken-ergy zu beflügeln. Auch im echten Leben ist das einen Versuch wert, schließlich ist erwiesen, dass selbst ein unechtes Lächeln dem Gehirn positive Signale sendet.

Kens strahlendes Lächeln öffnet ihm so manche Tür. Das ist auch gut so, denn er ist gerne in Gesellschaft. In weiblicher findet man ihn besonders oft: Der Blick in viele Kinderzimmer jedenfalls zeigt oft ein Verhältnis von eins zu drei - ein Ken, drei Barbies. Dass Frauen sich in der Gesellschaft eines Kens so wohlfühlen, liegt nicht nur an dessen gutem Aussehen, sondern auch daran, dass er nie bedrohlich wirkt.

Wenn Ken im Filmtrailer Barbie vorschlägt, die Nacht bei ihr zu verbringen und auf die Frage seiner Freundin, was sie denn dann tun sollen, antwortet: „Ich bin nicht sicher", das ist nicht nur rührend unwissend, sondern auch bestechend ehrlich. Statt den allwissenden Erklärtyp zu geben und dann doch nur Halbwissen parat zu haben, gibt ein Ken einfach zu, wenn er etwas nicht weiß.

Der Spielzeugkonzern will mehr

Das dürfte in diesem Fall auch daran liegen, dass Ken - zumindest als Puppe - kein Geschlechtsteil hat. Aber genau das ermöglicht ja Klein und Groß erst den Interpretationsspielraum. Ja, richtig gelesen, auch Groß. 1993 löste das Modell „Earring Magic Ken" eine der wenigen Ken-Debatten aus. Mit Netzhemd, Lederweste, enger Hose und einem Ketten-Anhänger, der einem Cockring ähnelte, erreichte dieser Ken mit der gay community eine unerwartete Zielgruppe, bevor Mattel es aus dem Verkauf nahm.

Diversity war damals noch nicht so gefragt - und Ken seiner Zeit einfach voraus. Als nun erste Fotos von Gosling als Ken erschienen, mit Weste, sonnengebräuntem Teint und wasserstoffblonden Haaren, sahen Fans sofort die Ähnlichkeit zu „Earring Magic Ken". Zuordnungen aufgrund seiner Optik begegnet Ken, sofern er sie überhaupt realisiert, mit stoischem Lächeln. Ein moderner Mann - Pardon, Ken - pfeift eben auch bei der Optik auf starre Rollenbilder und nimmt Kommentare zu seinem Aussehen mit Humor. Nur mit seinen heiß geliebten Inlineskates in Neongelb ist es Ken ernst.

Eine Antithese zum sachlichen Look

Ryan Gosling legt auch jenseits der Leinwand Ken-ergy an den Tag, wenn er im rosafarbenen Outfit und blonden Strähnen PR für den Film macht. Bei einem dieser Termine sagte er über Ken, dass dieser kein Geld, keinen Job, kein Auto und kein Haus habe. Für den Film mag das zutreffen, aber der „echte" Ken war schon Banker, Zahnarzt, Rapper, Pilot, Rock- und Filmstar.

Er hatte einen Mini Cooper und einen Beach Cruiser und zumindest in „Toy Story 3" auch ein eigenes Haus. Mit Barbies Traumhaus, ihrem Tennisplatz, den vielen Autos und ihren in der Öffentlichkeit viel mehr beachteten Karrieren kann er dann aber doch nicht mithalten. Das nimmt Ken - natürlich - gelassen. Er bleibt entspannt, auch wenn sich die Dinge und die Welt um ihn herum verändern. Ken weiß um seine Bedeutung, auch wenn er meist nicht im Vordergrund steht.

Das tut er auch nicht auf den Plakaten zum Film. Wieder einmal stellt Barbie ihn in den (pinken) Schatten: „Sie ist alles. Er ist nur Ken", steht auf einem dieser Plakate mit Margot Robbie als Barbie und Gosling als Ken. Auf einem anderen ist der Schauspieler Simu Liu abgebildet, neben seinem Porträt steht: „Er ist ein anderer Ken." Und Kingsley Ben-Adir wird mit „Er ist auch Ken" vorgestellt.

Wer nun Unmut in sich aufsteigen fühlt, weil die Kens im Vergleich zu Barbie vermeintlich herabgesetzt werden: Lächeln Sie einfach so stoisch wie Ken, dann kommt Ihnen dank der ins Gehirn gesendeten Signale alles gleich weniger empörend vor.

Gelassenheit, Humor, Ehrlichkeit und vor allem sich-selbst-nicht-immer-so-ernst-und-wichtig-nehmen, all das gehört zur Ken-ergy. Von der können wir alle eine Extraportion gut gebrauchen. Sehr gut sogar, wenn man so manche Diskussion anhört und Kommentarspalte liest. Besonders Debatten über Geschlechterrollen, Männer- und Frauenbilder lassen den Empörungspegel schnell steigen.

Wer also das nächste Mal in so eine Debatte gerät, sollte vielleicht nicht gleich wütend und laut aufstampfen, aus Angst, sonst nicht gehört zu werden, sondern lieber beschwingt und wie auf neongelben (und garantiert unübersehbaren!) Inlineskates dahingleiten. Am besten mit einem Lächeln im Gesicht. So wie Ken.

Rétablir l'original