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Modefotografie-Ausstellung: Gibt es wirklich einen „weiblichen Blick"?

Die Namen berühmter Modefotografen sind ebenso bekannt wie die von Supermodels - und oft männlich. Doch auch Frauen hinter der Kamera haben die Modefotografie seit jeher geprägt. Wie sehr, zeigt jetzt eine Ausstellung in Lübeck, die Pionierinnen und Newcomerinnen vereint.


Es ist eine kleine Straße, die mitten in Berlin an eine große Persönlichkeit erinnert. Eigentlich ist der Yva-Bogen sogar nur ein schmaler Durchgang zwischen der Kantstraße und der Hardenbergstraße. Seit 2011 trägt die Passage den Namen der Modefotografin Yva, die in den 1920er-Jahren Prominente und Models für Magazine wie „Die Dame" fotografierte. Schon mit Mitte 30 war sie international bekannt, der junge Helmut Newton wurde 1936 ihr Lehrling und später ihr Assistent. Nur rund einen Kilometer entfernt findet sich noch ein Hinweis auf Yva, allerdings unter ihrem bürgerlichen Namen, Else Ernestine Neuländer-Simon. In der Schlüterstraße 45 hatte sie ihr Atelier. Heute erinnert an die Künstlerin hier ein Stolperstein.


1938 erteilten die Nazis Neuländer-Simon und ihrem Mann Berufsverbot. Die Fotografin arbeitete fortan als Röntgenassistentin im Jüdischen Krankenhaus, ihr Atelier musste der Reichskulturkammer weichen. Die Auswanderungspläne des Paares kamen zu spät: 1942 wurde es festgenommen, deportiert und schließlich ermordet.


Das Schicksal von Yva berührt Antje-Britt Mählmann, Leiterin der Kunsthalle St. Annen in Lübeck: „Ihre Bilder zeigen einen lebendigen, starken und freien Geist, eine moderne Frau auf dem Weg nach vorne. Im Gegensatz dazu steht das tragische Ende dieser Künstlerin." Als die Museumsleiterin und Kunsthistorikerin ihre aktuelle Ausstellung über den weiblichen Blick in der Modefotografie plante, stand für sie fest, dass Yva darin vertreten sein müsse. Am 20. März startet „Female View. Modefotografinnen von der Moderne bis zum Digitalen Zeitalter", ein chronologischer Rundgang durch knapp 100 Jahre, die auch Frauen mit ihren Inszenierungen von Mode maßgeblich prägten und prägen, kuratiert von Mählmann und bis zum 3. Juli zu sehen.


Die Schau, die große Namen wie Yva, Lee Miller, Sibylle Bergemann, GABO, Deborah Turbeville, Ellen von Unwerth und Vertreterinnen der neuen Generation wie Amber Pinkerton, Liv Liberg und Nadine Ijewere vereint, ist im wahrsten Sinne ein Langzeitprojekt: Die Kuratorin studierte in Brighton und London Fotografie und produzierte selbst Modestrecken. Schon damals inspirierten sie viele der Frauen, in deren Werk die Ausstellung nun Einblick gibt: „Wenn man so will, arbeite ich schon seit 20 Jahren an dieser Idee."


Schon damals habe sie es als unfair empfunden, dass der Fokus so oft auf dem liegt, was - und wie - Männer fotografieren. Newton, Lindbergh, Avedon, Toscani, Teller, diese Namen sagen so gut wie jedem etwas, lassen ikonische Bilder vor dem geistigen Auge erscheinen.

Abgesehen von Ausnahmen wie Miller, von Unwerth oder auch Leibovitz sind die meisten Frauen hinter den Kameras der breiten Masse hingegen kaum bekannt. Die Ausstellung in Lübeck soll nun zeigen, wie groß ihr Beitrag zu diesem Bereich der Fotografie seit Generationen ist.


Nicht nur deren fotografisches Werk beeindruckt, auch ihre Lebenswege verdienen Beachtung. So wie jener von Else Ernestine Neuländer-Simon, die eben nicht nur Opfer eines unmenschlichen Regimes, sondern auch erfolgreiche Geschäftsfrau und Künstlerin war. Jener von Lee Miller, die vom Model erst zur Modefotografin und 1943 zur Kriegsberichterstatterin avancierte. Oder jener von Nadine Ijewere, die 2018 mit gerade einmal 26 Jahren als erste Schwarze Fotografin ein „Vogue"-Cover fotografierte und die klassischen Schönheitsideale infrage stellt.


Es ist paradox: Gerade in der Modefotografie standen und stehen Frauen hinter und vor allem vor der Kamera, auch das Publikum ist überwiegend weiblich. Und doch sind ihre Namen und Werke weniger bekannt als die von Männern. Diese Lücke schließt die Lübecker Ausstellung. Die Fotografinnen, die Mählmann persönlich für das Projekt gewann, seien von der Idee begeistert gewesen - auch jene, die sich längst auf dem internationalen Markt etabliert haben: „Viele von ihnen halten eine Ausstellung wie diese für überfällig."


Mögliche Kritik, dass der Fokus zu einseitig sei, bereite ihr keine Sorgen: „Natürlich könnte man sagen, dass es diskriminierend ist, nur Frauen auszustellen. Aber in einer Gesellschaft, in der immer noch viel Ungerechtigkeit zwischen Männern und Frauen herrscht, finde ich im Rahmen einer solchen Ausstellung etwas positive Diskriminierung legitim." Fotos für klassische Magazinstrecken finden ebenso Raum wie solche, die für Instagram entstanden. Der Wandel der Mode von elitär zu globalisiert, der des Schönheitsbegriffs von idealisiert zu individuell werden so sichtbar.


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