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Ein Triumph der Lässigkeit

Es war ein holpriger Auftakt zu einer Episode, die in die Modegeschichte eingehen sollte: Als Nan Kempner, eine dem textilen Zeitgeist der Masse stets einen kleinen Schritt voraus flanierende New Yorker Stilikone, 1968 das Restaurant „La Côte Basque" betreten wollte, verwehrte man ihr den Einlass. Der Grund: Die modebegeisterte Kempner trug einen Hosenanzug, genauer gesagt „Le Smoking", jenen Entwurf, mit dem Yves Saint Laurent gerade erst die Frauenmode revolutioniert hatte. Zu dem von der Herrenmode inspirierten Anzug gehörte eine Hose. Und eine solche, getragen von einer Frau, sei für ein Dinner so unpassend wie ein Badeanzug, befand man damals im „La Côte Basque".


Etwas mehr als ein halbes Jahrhundert später ist kaum noch vorstellbar, dass ein Frauenkörper in einem Hosenanzug einst als derart skandalös galt. Übrigens nicht nur in New York: 1970 erntete Lenelotte von Bothmer wüste Beschimpfungen, weil sie als erste Frau den Deutschen Bundestag in einem Hosenanzug betreten hatte. Und dass der amerikanische Modekritiker Tim Gunn angesichts von Hillary Clintons Vorliebe für Anzüge in Knallfarben mutmaßte, sie sei wohl hinsichtlich ihres Geschlechts verwirrt, ist gerade einmal zehn Jahre her. Heute erregen Politikerinnen wie Angela Merkel und Kamala Harris eher Aufsehen, wenn sie einmal nicht im Zweiteiler auftreten. Nach Startschwierigkeiten avancierte er zur sicheren (und ja, auch etwas langweiligen) Option für alle, die nicht mit verspielten Outfits vom Gesagten ablenken wollen.


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Mit seinem ursprünglich klaren Bezug auf die Männermode sei der Hosenanzug ein besonders deutliches Beispiel für das, was seit den Achtzigerjahren als „Power Dressing" bezeichnet wird, sagt die Literaturwissenschaftlerin und Modetheoretikerin Barbara Vinken: „Bis ins 20. Jahrhundert wurde weibliche Mode vor allem dann als ermächtigend empfunden, wenn Frauen männlich konnotierte Kleidung trugen. Oft wurden damit auch eine männliche Attitüde und der entsprechende Habitus übernommen - eben jener der Uniform des funktionierenden Machtmenschen."


Das setzten schon die Pionierinnen des Trends gekonnt ein: Die Schauspielerin Sarah Bernhardt brach 1870 in Paris im Anzug mit Geschlechterrollen; rund 60 Jahre später tat es ihr Marlene Dietrich im Film „Marokko", in Vogue-Mode­strecken und im echten Leben gleich. Marcel Rochas wird der erste Prêt-à-porter-Anzug für Frauen zugeschrieben, dessen aufstrebende Karriere in den späten Vierzigern Christian Diors „New Look" vorübergehend ausbremste. Saint Laurent ließ den Anzug dann in den Sechzigern wieder aufleben, und spätestens seit Giorgio Armani mit Beginn der Achtziger mit akzentuierten Schultern und Bügelfalten-hosen das „Power Dressing" prägte, sind Hosenanzüge nicht mehr aus der Popkultur wegzudenken.


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