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Politik in der Mode: Proteststoff

Als Maria Grazia Chiuri im vergangenen September ihre Models in T-Shirts mit "We should all be feminists"-Aufdruck auf den Dior-Laufsteg schickte, löste sie eine Trendwelle aus, nicht nur bei den Billiganbietern in der Fast Fashion. Der New Yorker Designer Prabal Gurung griff Chiuris Idee auf, zitiert seine Kollegin sogar auf einem T-Shirt: "Yes, we should all be feminists. Thank you, Maria." In der Modewelt, wo allzu offensichtliche Anleihen üblicherweise nicht als besonders schick gelten, herrscht derzeit seltene Geschlossenheit.

Dorothee Schumacher gefällt diese Einigkeit: "Der Zeitgeist verlangt nach einem neuen, starken weiblichen Selbstverständnis", sagt die Designerin, die ihr Label vor fast drei Jahrzehnten in Mannheim gründete und heute damit in 45 Ländern vertreten ist. Auch sie druckt inzwischen Botschaften wie "Believe in your female energy" auf T-Shirts.

Politische Haltung demonstrieren Designer derzeit aber nicht nur mit Statement-Shirts. Tommy Hilfiger etwa erkor im Februar weiße, am Handgelenk oder Gürtel getragene Tücher zum Zeichen gegen Diskriminierung und Ausgrenzung. Und Angela Missoni holte die "Pussyhats" genannten pinkfarbenen Strickmützen, Symbol der Frauenmärsche, auf den Mailänder Laufsteg.

Vom " politischen Erwachen der Mode" war im Frühjahr in der "Washington Post" die Rede; "Forbes" kürte Politik zum " größten Trend der New York Fashion Week". Das klingt, als hätten Donald Trump und Co. die Mode aus einem langen Dornröschenschlaf wachgerüttelt. Dabei hat das, was wir tragen, immer eine gesellschaftspolitische Dimension.

Bestimmte Kleidung für bestimmte Schichten

"Schon im Alten Rom, besonders aber vom Mittelalter bis ins Barock war bestimmte Kleidung nur bestimmten Schichten vorbehalten", sagt Uta-Christiane Bergemann, Kunsthistorikerin mit Schwerpunkt Mode und Dozentin an der Ruhr-Universität in Bochum. Kleidung habe schon lange bevor daraus Moden entstanden etwas über die Stellung ihrer Träger in der Gesellschaft ausgesagt.

Mit Kleidung zeigt man, wer man ist - oder wer man sein möchte. Zu wissen, dass man vormittags keinen Frack und abends im Restaurant keine kurzen Hosen trägt, kann man noch heute als Teil des kulturellen Kapitals im Sinne Pierre Bourdieus auffassen. Der Soziologie Georg Simmel beschrieb schon 1905 in seiner "Philosophie der Mode" ausführlich, wie höhere Schichten sich auch durch Kleidung von der Masse abheben wollen, 50 Jahre später dechiffrierte der Philosoph Roland Barthes "Die Sprache der Mode".

Unsere Garderobe entspringt nicht selten einem Mix aus Politik und Pragmatik: "Vor der Französischen Revolution waren für Männer Kniebundhosen üblich, nur Matrosen trugen als Arbeitskleidung auf den Schiffen lange Hosen", so Bergemann. Dann übernahmen die Revolutionäre lange Hosen, um sich damit vom Adel abzusetzen - die "Sansculottes", also Hosen ohne Kniebund, wurden zum politischen Symbol. Später habe das gehobene Bürgertum entdeckt, dass lange Hosen gar nicht so unpraktisch sind, und sie fortan ganz ohne politische Hintergedanken getragen.

Bei langen Hosen denkt heute kaum noch jemand an Umsturz und Revolution. Auch der Choker, das eng anliegende Halsband, das schon in den Neunzigern so ziemlich jeden Hals zwischen Miami und Meppen schmückte und derzeit sein zweites Comeback erlebt, dürfte von seiner überwiegend jungen Fangemeinde nicht gerade als politisches Statement wahrgenommen werden.

Dabei war es genau das im späten 18. Jahrhundert: Angehörige der vom Robespierre-Regime Hingerichteten sollen damals geheime Bälle, die "bals des victims", veranstaltet haben. Bei diesen Anlässen trugen junge Frauen rote Bänder um den Hals, um an die Opfer der Guillotine zu erinnern. Heute ist das einstige Zeichen politischer Solidarität in unzähligen Varianten für weniger als zehn Euro zu haben.

Socken als Protestsymbol

Sogar Socken können zum Politikum werden. Unter dem kommunistischen Regime in Polen imitierten Jugendliche den amerikanisch-westlichen Kleidungsstil. Zu dem gehörten neben Jeans und Lederjacken auch bunt gestreifte Socken. Das Regime sah darin offene Kritik: "Jedes Detail modischer Kleidung, durch das man die Zugehörigkeit Polens zu Europa betonte, diente als eine Waffe gegen die vorgeschriebene Sowjetisierung", schrieb Anna Pelka 2014 in einem Aufsatz für die Bundeszentrale für politische Bildung.

Die SED wiederum versuchte, modisch artikulierter Kritik in der DDR mit staatlichen Alternativen zu begegnen und produzierte ab 1974 die bei Jugendlichen so begehrten Jeans kurzerhand selbst. Das in Lößnitz hergestellte Modell, auf dessen Knöpfen "Lößnitz 25" eingeprägt war - ein Hinweis auf den 25. Jahrestag der DDR - konnte die dem Westen zugewandte Zielgruppe allerdings nicht überzeugen.

Dass gerade in Jugendmoden mehr als nur Trotz gegen Konventionen stecken kann, zeigt auch das Beispiel der Schlaghose. In den Siebzigern trugen die Hippies die ursprüngliche Arbeitshose von Cowboys und Handwerkern, um Solidarität mit der Arbeiterschicht und den Bruch mit dem Establishment auszudrücken.

Das bedruckte T-Shirt bleibt jedoch die deutlichste textile Protestnote. Hier wird auf den ersten Blick klar, wofür jemand steht. "Das ist aber keineswegs ein neues Phänomen", betont Bergemann: Die britische Designerin Vivienne Westwood etwa beziehe schon seit Jahren immer wieder auf und mit T-Shirts Position. Für die Umwelt, für den Frieden, für Julian Assange, gegen verschärfte Anti-Terror-Gesetze - was immer Westwood gerade notwendig erschien.

Die britische Designerin machte auch die Punk-Bewegung laufstegfähig. So wurden aus System- und Kapitalismuskritik in Form zerrissener Kleidung und Sicherheitsnadeln das, was Designer als "Signature Piece" bezeichnen würden. Heute können mit Swarovski-Kristallen verzierte Broschen in Form einer Sicherheitsnadel und durchlöcherte T-Shirts ein Vermögen kosten. Auch eine zerfetzte Jeans eignet sie sich kaum noch für die kalkulierte Provokation - es sei denn, auf der Einladung steht "Dresscode: Black Tie".

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