Die Quarantänefrisuren sind Geschichte, die Friseursalons haben nach fast acht Wochen Pause wieder geöffnet. Doch der Andrang ist groß, genauso wie der Abstand, den die Kunden halten müssen, sodass nur wenige auf einmal in den Salons Platz nehmen können. Wer also noch einige Wochen auf einen Termin warten muss, kann auch zu Hause seinen Haaren etwas Gutes tun.
Seit zwei Jahren habe ich kein Shampoo mehr in meinen Haaren aufgeschäumt, keine Spülung aus der Drogerie benutzt oder gar eine Kur beim Friseur bezahlt. Ich lebe „No Poo", kurz für „No Shampoo". Klingt eklig? Ja, der Name dieser Bewegung ist unglücklich gewählt. Doch nie waren meine Haare gesünder, nie sprangen meine Locken fröhlicher umher. Und nie musste ich meine Mähne seltener waschen als heute.
Mein Badewannenrand ist leer. Ich habe alle Shampooflaschen und Conditioner verbannt. Dazu das Gefühl der Erleichterung, wenn ich mich im Drogeriemarkt nicht mehr fragen muss, ob ich strapazierte, trockene oder fettige Haare habe, ob ich Glanzshampoo brauche oder doch eine Tiefenreinigung mit Proteinen. Ich gehe an den vielen Produkten vorbei, spare Geld und Plastik und kenne meine Haare besser als je zuvor.
Mit verquirltem Eigelb pflegte Oma ihre SpitzenDie „No Poo"-Gemeinde wächst schneller als manche Mähne. In Facebookgruppen und Blogs sammelt sich das Schwarmwissen der Tensidlosen. Tipps und Rezepte werden ausgetauscht, Erfahrungen geteilt, und wehe, jemand schreibt, man verzichte aufs Haarewaschen. Wir waschen sie, nur anders - mit Hausmitteln. Und das ist gar nicht neu.
Meine Oma, Jahrgang 1927 und Friseurin von Beruf, wusch nur einmal in der Woche ihre Haare. Wenn überhaupt, mit einem einfachen Shampoo ohne Schnickschnack, viel Auswahl gab's ja nicht. Mit verquirltem Eigelb pflegte sie ihre Spitzen. Dann goss sie helles Bier in ein Glas, tauchte ihren Kamm ein und kämmte jede Strähne sorgfältig durch. Sie drehte die Lockenwickler ein, die Haare trockneten, der Geruch verflog. Bier war ihr Festiger, mit dem sie auch meinem Opa am Wochenende eine Wasserwelle kämmte.
Oma wusste: Jede Wäsche ist so stressig für die Haare wie für uns ein Tag voller Videocalls. Mit einem Cocktail aus Tensiden, Alkohol, Parabenen, Silikonen und umweltschädlichem Mikroplastik schrubben sich viele von uns heute regelmäßig das Fett und den Staub aus dem Schopf. Da durch eine Wäsche mit gewöhnlichem Shampoo das Haar und die Kopfhaut aus dem Säure-Basen-Gleichgewicht geraten, fettet alles schnell nach. Die Schutzschicht der Haut geht ohne das eigene Körperfett verloren. Zack, die nächste Wäsche wird fällig.
Nicht nur sauber, sondern rein - gepflegt auszusehen, ist natürlich ein Muss. Unter einer duftigen Mähne wohnt ein klarer Verstand, so die gesellschaftliche Übereinkunft, und speckige Strähnen deuten eher auf einen allgemeinen Kontrollverlust hin. Kurt Cobain sang: „Come As You Are". Die Periode, in der Bedhair tatsächlich schick war, beschränkte sich auf die frühen 90er des vergangenen Jahrhunderts.
Doch wer den Kreislauf des Waschens einmal durchbricht und etwas Geduld hat, wird belohnt. Die Abstände zwischen den Reinigungen vergrößern sich, die Haare fetten sehr viel weniger, und meist kehrt längst verloren geglaubtes Volumen wieder zurück. Die Umstellung kann jedoch anstrengend sein und mehrere Wochen dauern. Bis die letzten Shampoorückstände verschwinden, fetten die Haare, die Kopfhaut juckt. Doch wann, wenn nicht jetzt, wenn man sowieso die meiste Zeit zu Hause bleibt?
So geht's: Am besten beginnt man mit einer einmaligen Haarwäsche mit Natron. Ein paar Esslöffel des Hausmittels, mit Wasser zu einer weißen Masse verrührt, entfernen Shampoorückstände und Silikone. Das ist die Grundlage. Am nächsten Waschtag, wann auch immer der ist, kann man dann mit einer „No Poo"-Wäsche beginnen.
100 Bürstenstriche am Tag - mit der WildschweinborstenbürsteDie einfachste Methode ist klar: Die Haare nur mit Wasser waschen. Menschen mit Kurzhaarfrisuren haben das vielleicht nie anders gemacht. Doch die Methode funktioniert auch gut, wenn man lange Haare hat - und fleißig ist. Denn sie erfordert mindestens 100 Bürstenstriche am Tag, am besten mit einer Wildschweinborstenbürste. Sie verteilt das Fett der Kopfhaut bis in die Spitzen und löst dabei Dreck, Staub und Schuppen. Eine vegane Variante ist die Sisalbürste, deren Borsten eine ähnliche Struktur wie die des Waldbewohners haben. Das Schwein funktioniert allerdings besser als Sisal.
Danach die Haare wie gewohnt unter der Dusche waschen, nur eben ohne Shampoo. Die Kopfhaut massieren, alles ausspülen mit lauwarmem oder kaltem Wasser. Dessen Reinigungskraft wird oft unterschätzt. „Würde man die Kopfhaut fragen, was sie braucht, würde sie sagen: Wasser reicht mir. Denn alles andere kann ich selbst", sagt die Berliner Hautärztin Yael Adler. Das körpereigene Fett schützt die Haare vor Umwelteinflüssen und Dreck. Wer es bis in die Spitzen verteilt, verteilt also ein Pflegemittel.
Wem Wasser allein nicht genügt, weil er etwas mehr Pflege möchte oder duftendes Haar, der kann Bio-Haarseifen ausprobieren. Doch ganz wichtig: Haarseifen nicht mit festem Shampoo verwechseln, das jüngst in immer mehr Drogerien in den Regalen liegt. Wer ein festes Shampoo benutzen möchte, spart Plastik, wäscht aber nicht nach „No Poo". Bio-Haarseifen bestehen aus verseiften Ölen und Fetten. Brokkolisamen-, Avocado-, Kokos- oder Olivenöl sind nur einige der möglichen Bestandteile. Jeder muss testen, welche Öle in den Haarseifen die Haare mögen. Daneben ist der Grad der Überfettung der Haarseifen ein wichtiger Faktor: Nach der Verseifung der Öle werden pflegende Fette hinzugefügt. Locken wie meine brauchen eine hohe Überfettung von zehn, zwölf oder sogar 18 Prozent. Menschen mit glatten Strähnen beginnen am besten mit einer niedrigen Überfettung von drei oder fünf Prozent.
Mit Haarseife wäre das nicht passiert: Londoner Frizz-Problem. Foto: dpaDie Haare am besten unter fließendem Wasser waschen, die Seife in die Hände nehmen, aufschäumen und über die Kopfhaut reiben. Das wichtigste ist hier der Schaum! Die Seife gleich wieder ausspülen. Fühlen sich die Haare sehr griffig an, das Ganze wiederholen und nach dem Ausspülen noch einmal mit kaltem Wasser abduschen.
Bei hartem Wasser wie in Berlin schlägt danach die Stunde der sauren Rinse. Das ist kein Dorfanger in Brandenburg, sondern eine verdünnte Haarspülung mit Apfelessig. Dabei ein Zehntel Apfelessig mit neun Zehnteln Wasser am besten in einem Messbecher mischen und über die Kopfhaut gießen. Vorsicht, Apfelessig brennt in Augen und Nase! Die Prozedur stellt den natürlichen pH-Wert der Haare wieder her und wirkt gegen juckende Kopfhaut.
Wer nicht erst auf die Suche nach Bio-Haarseifen gehen möchte, findet in der Küche einen Shampooersatz. Ein paar Esslöffel Roggenmehl (auf keinen Fall Vollkornroggenmehl!) mit warmem Wasser vermengen, bis eine braune Pampe entsteht und diese ein paar Minuten stehen lassen. Wer trockene Haare hat, kann einen Löffel Honig oder Sonnenblumenöl mit einrühren. Vorsicht vor Experimenten mit anderen Mehlsorten: Wer sich Weizenmehl mit Wasser in die Haare gibt, muss schneller zum Friseur als erhofft und trägt dann Kurzhaarfrisur.
Alle paar Wochen kaufe ich ein Aloe-Vera-BlattEine Alternative ist Lavaerde. Diese marokkanische Vulkanerde gibt es im Drogerieregal im Biosupermarkt. Lavaerde reinigt die Haare gründlich, ist jedoch bei sehr geschädigten Haaren nicht zu empfehlen, da die winzigen Partikel Haarbruch verschlimmern könnten. Genau wie beim Roggenmehl wenige Esslöffel Erde, je nach Haarlänge, mit lauwarmem Wasser anrühren, bei trockenen Spitzen etwas Öl oder Honig einrühren. Die Masse unter der Dusche auf der Kopfhaut verteilen, in die Ansätze kneten, danach wieder ausspülen.
So, die Haare sind sauber. Und nun? Ich mache mir auch meine Haarpflege selber. Alle paar Wochen kaufe ich im Biosupermarkt ein Aloe-Vera-Blatt, kratze es aus und püriere es. Mit ein paar Tropfen Jojobaöl vermischt, eignet sich das Gel hervorragend für trockene oder lockige Haare. Das Gel ins nasse, aber nicht mehr tropfende Haar kneten oder mit den flachen Händen vom Ansatz bis in die Spitzen verteilen. Die Haare trocknen lassen, bis eine Gelkruste entsteht, die man einfach mit den Händen auskneten kann - fertig ist die wilde Mähne ohne Frizz.
Zum Friseur gehe ich übrigens immer nur mit gerade gewaschenen Haaren. Dort werden sie nur noch mal nass gemacht und dann geschnitten. Shampoo und Kuren lehne ich dankend ab. Wozu auch? Meinen Haaren geht's so gut wie nie zuvor.