Mr. H und Jane Goodall sind unzertrenntlich. Der Plüsch-Schimpanse mit einer Banane in der Hand begleitete die 79jährige Zoologin, die jahrelang unter Schimpansen lebte und bahnbrechende Entdeckungen über ihr Verhalten machte, zur Premiere von „Schimpansen". Der Naturfilm von Alastair Fothergill und Mark Linfield folgen dem Schicksal von Oscar, einem tapsigen, neugierigen Baby, das seine Mutter im Kampf mit einer anderen Schimpansen-Population verliert und von Freddy, dem Alpha-Tier der Herde adoptiert wird. Der Film hat mittlerweile Diskussionen um die Authentizität von Dokumentarfilmen ausgelöst, da mehrere kleine Schimpansen als Oscar vor der Kamera standen. Mit der Zoologin Jane Goodall sprach Katharina Dockhorn.
nd: Frau Goodall, welche Funktion hatten Sie bei dem Film? Goodall: Ich habe die Regisseure wissenschaftlich beraten. Da ich den fertigen Film mag, promote ich gerne den Film. Wir hoffen, dass mein Name hilft, viele Menschen ins Kino zu locken und sie motiviert, den Schimpansen zu helfen.
Mögen sie Naturfilme, die Tiere vermenschlichen? Für alle meine Filme hatte ich den Schimpansen Name gegeben. Weil jedes Tier eine unverwechselbare Persönlichkeit und Geschichte hat. Filmemacher können noch so gute Bücher schreiben, die Tiere bestimmen, was zu sehen ist. Keiner kann planen, ob ein Alpha-Männchen einen Waisen adoptiert. Oder Schimpansen schminken. Der Schimpanse mit der Narbe und sein Gefährte, die so furchterregend wirken, verhalten sich auch in freier Wildbahn aggressiver als andere Artgenossen.
Die eine Gruppe lebt in der Elfenbeinküste, die andere in Uganda. Begegnet sind sie sich nie. Rechtfertigt eine aktionsreiche Dramaturgie alle Mittel? Aus Ihrer Sicht mag das wie Betrug wirken. Ich habe Kämpfe zwischen Schimpansen-Gruppen beobachtet, bei der eine so dezimiert wurde, dass sie nicht überleben konnte. Diese Kämpfe sind so schrecklich, dass man sie kaum ertragen kann. Sie können auch einwenden, der Kommentar gäbe dem Film eine allzu menschliche Note. Nach meinem Gefühl wird nicht zu dick aufgetragen. Ein oder zwei Stellen scheinen Erwachsenen vielleicht lächerlich. Aber wir wissen doch, dass Schimpansen nicht so denken wie wir.
Der Film vermittelt also ein realistisches Bild? Ein Film muss zusammenfassen, die Regisseure haben sich die Freiheit genommen, Szenen mehrerer kleiner Affen zu einer Figur zusammen zu schneiden. Anders sind solche Filme technisch kaum realisierbar. Die Attacken untereinander sind auch nicht so häufig, wie es der Film andeutet. Das friedliche Zusammenleben, die Nahrungssuche und das Aufziehen der Kinder bestimmt auch ein Schimpansen-Leben.
Werden die Weibchen bewusst von feindlichen Gruppen gejagt? Die Jüngeren, die noch keine Kinder haben, werden entführt. Die älteren Weibchen haben keine Chance, wenn sie gefangen werden. Ich habe beobachtet, dass ein Weibchen in der Krone eines Baums aufgab. Sie bettelte um Gnade. Trotzdem wurde sie umgebracht und gegessen. Schimpansen können ebenso grässlich zueinander sein wie Menschen.
Hatten Sie in solcher Situation Angst, selbst angegriffen zu werden? Nein, diese Gefahr bestand nie. Aber wenn sie attackieren, hätten wir keine Chance. Schimpansen sind sehr viel stärker als Menschen.
Ist es wirklich selten, dass Alphamännchen sich um verwaiste Babys kümmern? Mir war bislang nur ein ähnlicher Fall bekannt. Damals wurde ein Fünfjähriger angenommen, also ein sehr viel weiter entwickeltes Junges. Wenn eine Mutter stirbt, adoptieren normalerweise die älteren Brüder oder Schwestern die Hilflosen. Die Brüder sind dabei meist die besseren Bezugspersonen. Wenn es keine älteren Geschwister gibt, kümmert sich manchmal eine ganze Gruppe von Weibchen. Oder ein einzelnes Weibchen, das kein eigenes Baby hat. Aber männliche Schimpansen scheren sich sonst nicht um Waisen.
Haben Sie beobachtet, dass Waisen verhungert sind? Ja, ich musste zusehen, wie eine kleine Schimpansin verhungert ist. Das wäre aber keine gute Geschichte für einen Disney-Film. Und selbst wenn sich andere Schimpansen der Waisen annehmen, heißt es nicht, dass sie überleben.
Der Film vermittelt den Eindruck, dass Schimpansen auf unterschiedlichen Evolutionsstufen leben. Sind bereits Prozesse der Menschwerdung des Affen beobachtet worden? Jede Gruppe von Schimpansen hat ihre eigenen Regeln und Kultur. In Uganda lebt eine Gruppe, die mit fünf verschiedenen Werkzeugen Honig sammelt. Das Knacken von Nüssen sahen wir bisher nur bei dieser Population im Tai-Nationalpark. Benachbarte Gruppen lassen die Nüsse links liegen - sie könnten die Früchte aber eines Tages als Nahrungsquelle entdecken. Aber das ist ein langwieriger Prozess.
Besteht eher die Gefahr, dass Schimpansen durch den Menschen ausgerottet werden? Seit den 1960er hat sich die Zahl der Schimpansen von rund einer Million auf höchstens 300.000 reduziert. Das größte Problem ist, dass die Waldgebiete durch Rodungen durchtrennt werden und die Schimpansen nicht mehr mit den Jahreszeiten wandern können. Das bedroht insbesondere die Populationen im Kongo. Deshalb setzen wir alles daran, Korridore zwischen den verbliebenen Siedlungsgebieten zu schaffen. Ein weiteres Problem ist die Jagd. Früher jagten die Einheimischen für den persönlichen Bedarf. Heute kommen Jäger mit großen Trucks. Sie schießen alles, was ihnen vors Gewehr kommt und nehmen keine Rücksicht auf den Kreislauf der Natur. Keiner hätte früher eine Mutter mit Baby geschossen – weil es den Bestand der Population gefährdet. Heute werden viele Mütter erschossen. Zurück bleiben die Waisen - an den kleinen Schimpansen ist ja nicht viel Fleisch. Deshalb sind die Waisen mittlerweile so zahlreich, dass die Gruppen überfordert sind, für sie zu sorgen.
Könnte es nicht auch sein, dass diese Situation dazu führt, dass sich auch die Männchen um die Waisen kümmern? Darüber können wir nur spekulieren, ob dies Einzelfälle bleiben oder zur Regel wird.
Haben Sie je die Hoffnung verloren, die Schimpansen zu retten? Es gibt Zeiten, in denen alles hoffnungslos scheint und es nicht gelingt, diesen verhängnisvollen Kreislauf zu durchbrechen. Dieser wunderschöne Planet Erde bietet alles, was wir brauchen. Statt behutsam mit ihm umzugehen, zerstören wir ihn mit der Gier nach Profit und unserem Lebensstil. Das raubt mir manchmal den Mut. Auf der anderen Seite sehe ich überall unglaubliche Projekte. Tierarten, die vom Aussterben bedroht sind, erhalten eine zweite Chance. Nationalparks entstehen, Touristen kommen. Wer einmal mit einem verwaisten Schimpansen-Baby beobachtet hat, wird vielleicht nie wieder ihr Fleisch essen. Die Schimpansen haben heute dreimal so viele Bäume als Lebensraum zur Verfügung wie vor zehn Jahren. Die ersten Korridore verbinden wieder ihre Siedlungsgebiete. Wir hoffen, dass kleine Farmen entstehen und die Menschen begreifen, dass sie mit nachhaltiger Landwirtschaft und Holzbewirtschaftung mehr verdienen als mit Rodungen und Pestiziden.
Wenn Sie zurück blicken, hätten Sie etwas anders gemacht? Nein, ich hatte das Leben, das ich mir erträumt hatte. Ich lebte in einem wunderschönen Wald, lernte viel über Schimpansen, habe Daten analysiert, wissenschaftliche Aufsätze verfasst, Bücher geschrieben, unterrichtet Ich habe ein wunderbares Kind. In den 1960er war jeder Amerikaner durch die Filme von den Schimpansen fasziniert. 1986 konnte ich auf ihren Einsatz als medizinische Versuchskaninchen aufmerksam machen. Ich bin in die Kampagne für ihren Schutz als Wissenschaftlerin eingestiegen und als Aktivistin raus gekommen. Ohne groß darüber nachzudenken. So kam eins zum anderen.
Vermissen Sie, dass Sie nicht mehr unmittelbar im Urwald forschen können? So wie es heute ist, ist es gut. Wir können den Schimpansen heute nicht mehr so nahe kommen wie früher, denn sie können von unseren Krankheiten infiziert werden. Ich beobachte die Anpflanzungen und die Entwicklung und helfe, wo ich gebraucht werde. Vor allem will ich die Kinder begeistern, die Schimpansen zu retten.