Von Monarchie bis Mittelstand, alle bekamen ihr Fett weg. Eine große Flyer-Sammlung zeigt, wie Sex Pistols, Ramones und Co. die Botschaft des Punk auch visuell transportierten.
Sonntag, 01.12.2019 13:27 Uhr
Punk trat einst an, alles kurz und klein zu hauen, das machte die Musik schnell klar. Aber auch grafisch fand der Protest gegen alles und jeden seine Entsprechung. Laut, schrill, minimal - so ließe sich auch die visuelle Welt des Punk beschreiben, das zeigt nun eine Schau im Brüsseler Designmuseum ADAM.
"Wo ist denn hier die Musik?" - diese Frage hört Arnaud Bozzini öfter, wenn der Direktor seine Ausstellung erklärt. Dabei soll die etwas ganz anderes liefern. "Too Fast to Live, Too Young to Die: Punk Graphics, 1976-1986" nähert sich dem als Alleszerstörer angetretenen Phänomen nicht musikhistorisch, sondern auf visuelle Weise.
Und das leuchtet ein: unvergessen die zweidimensionalen Altäre, mit denen man selbst Punkbands und Konzerten huldigte, die man eventuell nicht einmal alle richtig gehört oder besucht hatte, deren Aura man aber unbedingt aneignen wollte. Jeder Flyer, jedes Plakat eine gewünschte Zugehörigkeitserklärung. Es galt, die zumindest optisch zu deklarieren.
Bis zum Sommer war die Ausstellung, die auf einer umfangreichen Privatsammlung des US-Amerikaners Andrew Krivine basiert, im New Yorker Museum of Art and Design (MAD) zu sehen. Dort hatte sich John "Rotten" Lydon, seinerzeit Leadsinger der Sex Pistols, im Vorfeld erwartbar mokiert: Er wisse gar nicht, was das sein solle, "punk art", aber man könne dem Ganzen ja mal eine Chance geben.
Zu entdecken gibt es 700 Exponate, die zu unterschiedlichen Gestaltungsthemen von Appropriation Art bis Zombies sortiert wurden. Den Löwenanteil der Sammlung muss man nicht hinter Glas bewundern, sondern darf ihnen Aug in Aug gegenüberstehen. Allen voran die ikonografischen Plakate und Plattencover der britischen Punkband aller Punkbands, für die der britische Künstler, Grafiker und Anarchist Jamie Reid verantwortlich zeichnet.
Für die vierte Single der Sex Pistols, "Holidays in the Sun", fügte der beispielsweise Songzeilen in ein Werbemotiv des belgischen Touristenservices ein: "I had no reason to be there at all" und " A cheap holiday in other peoples misery!" zwischen schwarz-weiß gepixelten Menschenmassen - das ist einfach eine Polemik, die heute so gut verfängt wie damals. Wenn nicht besser.
Dass nicht nur Faschisten, Monarchie und Mittelstand, sondern auch Hippies und Liberale ihr Fett wegbekamen, zeigen Grafiken von Bands wie Killing Joke oder den Dead Kennedys. Deren in Fraktur geschmücktes Plakat "California über alles", geziert von Hakenkreuzen aus Cannabispflanzen, übrigens ebenfalls von Reid gestaltet, ist ein satirischer Seitenhieb auf den damaligen Gouverneur Jerry Brown und seine emsige Proklamation eines gesunden, alternativen, fröhlichen Lifestyles - healthy living, anyone?
"Punk Graphics" schlägt weite Referenzbögen und geht ausführlich ins Detail, wenn visuelle Eigenheiten nach Ländern, Szenen, Stilrichtungen und Jahreszahlen aufgefächert werden. Stellenweise wäre es sicher hilfreich, die Bezüge nicht nur im Wandtext zu nennen, sondern auch aufzuzeigen: Eine Collage beispielsweise des Künstlers John Heartfield, der als Referenz für die "Killing Joke"-Artefakte genannt wird. Oder Arbeiten der russischen Konstruktivisten, die als Vorbild späterer Punkgrafiken dienten. Aber eine solche Gegenüberstellung hätte, natürlich, dem Ganzen auch einen noch musealeren Charakter gegeben.
Es ist also gar nicht so eine arg intellektualisierte Angelegenheit geworden: In der Schau gilt das gestanzte, geklebte, fluoreszierende Wort (und Bild). Und das entfaltet seine Anziehungskraft hervorragend auch jenseits von Jugendzimmer- und siffigen Clubwänden: Wie Haifischzähne beißen sich die visuellen Artefakte in die Netzhaut - gleich, ob sie grellgelb, neonpink und giftgrün oder geradezu minimalistisch in Schwarz/Weiß daherkommen. Punk-Grafik, das war eine maximale Reduktion auf das unbedingt Nötige. Den vulgärsten (aber, ganz objektiv betrachtet, oft auch einfach saukomischen) Gag, die frechste Behauptung, die großkotzigste Anmaßung. Der Fausthieb ins bürgerliche Wohlbefinden, der musste also nicht nur musikalisch sitzen.
Nebenbei räumt "Punk Graphics" auf mit der Idee, dass Grafiker, Künstler und Kunststudierende den rauen Edelstein namens Punk zurechtschliffen. Klar: Dass zum Beispiel die Outfits der britischen Sex Pistols alles andere als zufällige Griffe in den Altkleidersack darstellten, wie überhaupt ihr gesamtes Image vom Manager Malcom McLaren und seiner damaligen Freundin, der heute weltberühmten Modedesignerin Vivienne Westwood, in welchem Maße auch immer wohlgestaltet war - geschenkt. Doch Punk, das zeigt diese Ausstellung, war eben immer schon beides; Proletenstolz wie Kunsthochschulattitüde, brillanter Witz und Vulgärhumor, Wohlüberlegtes und Dilettantismus.
Aus dieser Gemengelage heraus erklärt sich vielleicht, warum etliche der versammelten Artefakte auch heute noch so grandios funktionieren. Ein Plakat vom Woodstock-Festival mit seiner geschwungenen Schrift und den grundfreundlichen Illustrationen wird als Zeitzeugnis immer ein nostalgisch-schwelgerisches Sentiment, ein "Hallo, liebe Welt!" im Plusquamperfekt verströmen.
Der Nihilismus aber, der mit dem Punk angetreten war, alles kurz und klein zu hauen, dieser Rundumschlag wirkt so erfrischend wie eh und je. Oder vielleicht gerade wieder, funktionierte er doch aus dieser dezidierten Position - ob nun real-sozial erlebt oder als Pose vor sich hergetragen: Außenseiter zu bleiben, sich mit nichts und niemandem gemein zu machen, keine bessere Welt anzubieten. Denn "alles" bedeutete dereinst, nun wirklich allem und jedem vor den Kopf zu stoßen, dabei weder die eigenen Ideologien und Befindlichkeiten noch jene der Sippe und Vorfahren zu schonen.
Ausstellung: "Too Fast to Live, Too Young to Die: Punk Graphics, 1976-1986", ADAM Brussels Design Museum, bis 26.04.2020
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