Am 8. Februar 1941 notiert Charles Eames auf einem Bogen Papier der Cranbrook Academy of Art folgende Zeilen:
"Dear Miss Kaiser, I am 34 (almost) years old, singel [sic!] (again) and broke - I love you very much and would like to marry you very very soon* *Soon means very soon"
Es folgen einige weitere Sätze und eine Handskizze, der Rest ist Geschichte: Aus der Künstlerin und dem Industriedesigner werden Ray und Charles Eames, ein geniales Paar, Privates und Berufung von Anfang an verwoben. Schon Weihnachten im selben Jahr erhalten Freunde und Familie festliche Postkarten, auf denen beide fröhlich posieren - zwischen ihnen eine hölzerne Beinschiene, eines der ersten gemeinsamen Werke.
Während des Zweiten Weltkriegs werden nach diesem Prototyp tausende Beinschienen für verwundete amerikanische Soldaten angefertigt. Die Schichtholzkonstruktion trägt in sich, was Ray und Charles Eames in den kommenden Jahrzehnten auszeichnen wird: Erfindungsreichtum, gepaart mit sorgfältiger Problemanalyse.
Dutzende Tage und Nächte tüftelte das junge Paar in seinem damals winzigen Wohnzimmer, wie man Sperrholz in jede gewünschte Form bringen könnte. Eine selbstgebaute Heißpresse bringt schließlich den Durchbruch. Die Fähigkeit ihrer Wundermaschine beschrieben die Eames mit den Worten: "Ala Kazam! like magic" (Abrakadabra! Es ist wie Magie).
"Kazam!" ist deshalb auch der Titel einer Ausstellung, mit der das Vitra Design Museum in Weil am Rhein gerade "Die Möbelexperimente der Eames" feiert. Denn als das Militär keinen Bedarf mehr hatte, begannen die Eames mit ihrer beispiellosen Möbel-Serie, die heute nahezu allesamt Aushängeschilder der Midcentury-Moderne sind. Die Werkschau ist Teil von "An Eames Celebration", ein vierteiliger Ausstellungsparcours aus mehr als 500 Exponaten, darunter auch die äußerst seltenen Schichtholzskulpturen von Ray Eames. Die Retrospektive stellt anhand von Möbeln, Filmen, Büchern und Medieninstallationen die Arbeit des legendären Designerpaares vor.
Die künstlerische Aufbruchsstimmung in Los Angeles, diese amerikanische "Hands on!"-Mentalität, sowie ein ausgesprochenes Gespür für Form, Material und Technik prägten diese Arbeit genauso wie die neu aufkommende Möglichkeit zur Produktion in Serie. Nach und nach entsteht eine ganze Armada an Stühlen: Erst aus Sperrholz, später dann aus Fiberglas und Aluminium. Sofas, Tische und Regale gehören bald ebenso zum Repertoire wie Kinderspielzeug, riesige Ausmalkästen und ganze Häuser - nicht zuletzt das legendäre Eames House in Pacific Palisades.
"An Eames Celebration" hält einige Überraschungen und viel mehr als schöne Stühle bereit: In Filmen und Konzepten lassen Ray und Charles Eames ihre Zuschauer als Universal-Forscher die Welt entdecken.
Für IBM gestaltete das Paar Ausstellungen zu allen nur erdenklichen Themen, von der Mathematik bis zum US-amerikanischen Gründungsvater Thomas Jefferson. Hinzu kommen rund 100 Filme, experimentelle Arbeiten und Erklärfilme, von denen einige hier zum ersten Mal zu sehen sind. Allein um das komplette Programm anzuschauen, müsste man mehr als fünf Stunden Zeit einplanen.
Für Charles Eames waren Clips "Werkzeuge", Mittel zum Zweck einer Ideenstudie: Mexikanische Totenfeste, minutenlange Farbspiele von Kreisen und Spiralen oder die großartige Veranschaulichung mathematischer Relationen beweisen einmal mehr, dass hier zwei Gestalter mit Interesse an grundsätzlich Allem, was sich in der Welt so tut, am Werk waren. Und die mit großer Begeisterung anderen erklären, wie die so funktioniert.
"Take your pleasure seriously"
Eine speziell für Kinder konzipierte Ausstellung steht unter dem Motto: "Take your pleasure seriously". Der Leitsatz stand auch im Eames Office. Das kreative Schaffen dort muss man sich wohl wie einen permanenten Workflow vorstellen: Auch das künstlerische Experiment diente der eigenen Arbeit. Tatsächlich machte das Schaffen oft so viel Spaß, dass manch ein Mitarbeiter freiwillig bis zum nächsten Morgen blieb.
Bei Eames' lebte man in eigener Zeitrechnung, denn: "Etwas Besseres wartete schon hinter der nächsten Ecke," fasst Mitarbeiter Bob Staples in einem Video-Interview die Stimmung zusammen. Also wurde wieder verworfen, verbessert, ausprobiert. Im Team und gegen die Mär vom Genie, das allein ständig einfach so fantastisch ausschauende Dinge in die Welt wirft. Stattdessen: Stetige Verfeinerung durch, wie es Staples ausdrückt, "immer wieder Hochwürgen."
Die Ausstellung hat in Weil am Rhein Heimspiel, die Geschichte des deutschen Designzentrums ist seit Jahrzehnten eng mit den Eames verbunden. Hier kann man über die Ray-Eames-Straße spazieren oder sich mit dem nötigen Kleingeld in der Schauwerkstatt seinen eigenen Eames Lounge Chair mit Ottoman zusammenstellen. Die Eames-Aura, sie strahlt ungebrochen. Gerade deshalb hätten sich die Ausstellungsmacher ruhig trauen können, auch einmal ein Möbelstück wie den Time Life Chair zu zeigen: Weniger Geglücktes, weniger Bekanntes.
Mehr Beachtung verdient sicher auch die Frage, wieso Anspruch und Wirklichkeit des guten und vor allem bezahlbaren Wohnens letztlich auch bei den talentierten Eames doch so weit auseinanderlagen? Denn preiswert waren ihre Kreationen nie: Der Lounge Chair mit Ottoman wurde 1956 für 310 US-Dollar angeboten. Inflationsbereinigt wären das heute immerhin rund 2.850 Dollar.
Die Rolle von Ray Eames wird von den Ausstellungsmachern auch nicht ausreichend beleuchtet. Der "Eames-Party" hätten solche Fragen und Widersprüche keinen Abbruch getan, eher noch mehr Tiefe verliehen. So oder so: Von ihrem berühmten Office aus, das übrigens dauerhaft im Schaudepot Quartier bezogen hat, erschlossen Ray und Charles Eames ein ganzes Universum. Von dem kann man sich hier und heute noch mühelos verschlingen lassen.
Das Vitra Design Museum zeigt " An Eames Celebration" noch bis zum 25. Februar 2018, die "Play Parade" bis 11. Februar, täglich 10-18 Uhr.