Eine Handvoll Steinbrocken auf einem jeweils winzigen Rasenstück, umgeben von einem 248 Quadratmeter großen Kiesbett, eingesäumt von einer Tonmauer, auf der sich ein paar blasse Flecken in Braun und Orange abzeichnen: Der Ryan-ji ist, auch wenn der Banause dies erst einmal annehmen mag, kein Ort wie jeder andere.
Der amerikanische Avantgarde-Komponist John Cage schrieb 1985 ein ganzes Musikstück als Huldigung an den Japanischen Garten; auch eine gleichnamige Reihe mit Zeichnungen steuerte er bei. Aufmerksam gemacht auf den über 500 Jahre alten Steingarten in einem Zen-Tempel von Kyoto hatte ihn wiederum Yoko Ono, die ebendort 1962 eine Performance aufführte.
Der japanische Experimentalfilmer Taka Iimura widmete dem sagenhaften Garten 1989 gar eine eigene Filmmeditation, die ihren Zuschauer mit den für westliche Gemüter erst einmal schwer zu fassenden Begriffen von Leere und "Ma", dem Begriff von Raum und Zeit zugleich, vertraut machen soll.
Auch Wissenschaftler hat der Ryan-ji immer wieder beschäftigt: Mit seinen perfekten Proportionen, Blickachsen und Materialien gilt er als ein Paradebeispiel des Japanischen Gartens, jener geheimnisvollen Grünfläche, die auf den ersten Blick so gar nichts mit ihrem westlichen Pendant gemein hat.
Sophie Walker nähert sich in ihrem Buch "The Japanese Garden" der fernöstlichen Gartenkunst aus mehreren Richtungen gleichzeitig: Systematisch als Landschaftsdesignerin und assoziativ als Bewunderin. Die junge Britin und ehemalige Kunstgeschichtsstudentin gestaltet private und öffentliche Gärten und Grünanlagen, 2014 war sie die jüngste Teilnehmerin an der legendären Chelsea Flower Show, von der die BBC Jahr für Jahr in täglichen Sondersendungen berichtet. Sie wurde, wenn man so sagen kann, zum Shootingstar der Hortikultur - und widmet sich in ihrem ersten Buch nun ausgerechnet der japanischen Gartenbaukunst.
"Japanische Gärten präsentieren eine Welt, die zutiefst nichtmenschlich ist"
Walker erläutert Pflanzen und Epochen, Shintoismus und Zenbuddhismus ebenso wie ganz handfeste Dinge. Sie erklärt dem Leser zum Beispiel, dass man einen Japanischen Garten mit der gebotenen Vorsicht betritt - und in speziellen Gartenslippern, die oft am Eingang bereitstehen. Sehr oft lässt sie ihre Studienobjekte selbst sprechen: Trockene Kieselgärten und Pflanzenmeere in allen nur erdenklichen Farben und Texturen, die bisweilen geradewegs einem Technicolor-Film von Douglas Sirk entsprungen scheinen. Andere sehen aus wie die Miniaturwelt einer wunderschönen Eisenbahnanlage. Moderne Versionen nutzen gar künstliches Licht oder grellere Farben. Und wieder andere existieren bloß so, scheinbar völlig außerhalb des eigenen Horizonts.
"Japanische Gärten präsentieren eine Welt, die zutiefst nichtmenschlich ist, " schreibt der Künstler Lee Ufan an einer Stelle im Buch. Die treibende Kraft sei hier eben nicht der Anthropozentrismus, der Mensch im Mittelpunkt, sondern ein höheres Prinzip. Das stimmt: Mit den romantische Gefühle weckenden Rosengärten britischer Provenienz, mit den erhabenen Parkanlagen französischer Schlösser, die geradewegs auf einen Effekt für ihren Besucher zugeschnitten sind, hat ein Garten wie der Konchi-in in Kyoto auf den ersten Blick wenig gemein. Seine Büsche und Bäume sind arrangiert, seine Steine und Wasserläufe platziert und seine Pfade angelegt, damit der Mensch auf ihnen herumlaufen kann. Aber seine Wirkung entfaltet sich nicht zwischen bombastischen Blütenmeeren und kunstfertig modellierten Hecken, sondern weitaus subtiler auf den zweiten, dritten oder vierten Blick.
Der Japanische Garten als Einladung zur inneren Emigration
Umgekehrt ist diese Komposition aus Pflanzen und Steinen ohne den Menschen als Gestalter nicht denkbar. Mit wildwüchsiger Natur hat diese höchst kultivierte Gartenbaukunst wenig zu tun. Bei Walker kann man nachlesen, welche Bedeutungsebenen der Gestaltung zugrunde liegen und wieso Steine und Grün in keinem Sekundenbruchteil einander gleichen. Man erfährt, dass der Kontrast aus Teich und Hügel für den japanischen Garten einer der wichtigsten überhaupt ist. Wie Pflanzen poetisch arrangiert werden können. Und wieso viele Gärten durch einen runden Ausguck betrachtet werden sollten, der - ganz wie auf dem Buchcover nachgestellt - aus einem Rechteck herausbricht.
Mit "The Japanese Garden" hat Sophie Walker mehr geschaffen als ein weiteres hübsches Coffeetable-Book zum gelegentlichen Durchblättern: Ihr Buch ist Essay, Materialsammlung, kulturhistorische und landschaftsarchitektonische Betrachtung eines Phänomens, das eine ganze Generation von Künstlern und Intellektuellen geprägt hat. Allein der ein oder andere Gastbeitrag wirkt auf den Leser etwas esoterisch oder missionarisch. Der "Zen-Boom" der Fünfzigerjahre mag längst abgeflaut sein, Walker zeigt: Das Thema ist auch heute noch spannend.
Man kann eine gute Weile in dieser Betrachtung einer Betrachtung versinken; an den Architekten Walter Gropius denken, der den Japanischen Garten als Einladung zur inneren Emigration zu schätzen lernte: Keine äußeren Welten erobern, erst einmal innere erschließen. Und dann findet man irgendwo ein Foto von John Cage, Schwarz auf Weiß: Er sitzt vor dem Hj-Garten im Nanzen-ji Tempel, sitzt da nur so und schaut.