120 Einwohner, 72 Flüchtlinge: Kann das gut gehen? In der Siedlung Rossendorf, einem Ortsteil von Radeberg, war die Skepsis der Anwohner groß, als sie im Sommer über die Ankunft der neuen Nachbarn informiert wurden. Inzwischen sind die Flüchtlinge da. Doch wie kommen die alteingesessenen mit den neuen Rossendorfern klar und umgekehrt? Der MDR war vor Ort.
von Katalin Vales
Rascha Al Mohammed hat in der kleinen Küche zusammen mit anderen Frauen einen Kuchen gebacken. Heute feiert ein Kind aus dem Flüchtlingsheim Geburtstag. In einem kargen Raum sitzen Kinder aus verschiedenen Ländern zusammen und warten ungeduldig, dass die Geburtstagsfeier endlich losgeht. Ein Stück Alltag, fern der Heimat. Rascha Al Mohammed ist mit ihrem Mann Morhaf und der einjährigen Tochter Rosella aus Aleppo über die Balkanroute geflüchtet. Nun haben sie in Rossendorf Zuflucht gefunden. Sie teilen sich ein Zimmer. Die Einrichtung ist karg, aber sie erfüllt ihren Zweck. Das Nötigste ist vorhanden: zwei Betten, ein Teppich, Decken, ein Tisch mit drei Stühlen und ein Schrank. Rascha Al Mohammed ist froh, hier zu sein. Sie erzählt in gutem Englisch von ihren Erlebnissen in der Heimat: "Zuhause in Syrien, in Aleppo sind Menschen direkt vor meinen Augen ums Leben gekommen. Ich habe mich aus Angst vor dem IS-Terror von Kopf bis Fuß verschleiert." In Rossendorf lebt sie unverschleiert.
In einer Bürgerversammlung mit Radebergs Oberbürgermeister Gerhard Lemm und Vertretern des Bautzner Landratsamts kochten Anfang Juli die Emotionen hoch: Die kleine Siedlung werde mit der großen Zahl an Flüchtlingen überfordert sein und was, wenn nur Männer kommen würden? Ob man dann überhaupt noch im Wald joggen gehen könne oder generell Übergriffe fürchten müsse? Die Anwohner befürchteten den Wertverfall ihrer mühsam abbezahlten Häuser - und überhaupt sei die Infrastruktur in der Siedlung denkbar ungeeignet: Weder Schulen, noch Kindergärten, geschweige denn Einkaufmöglichkeiten gibt es in der Siedlung Rossendorf. Beim Bautzener Landratsamt gingen zahlreiche Bürgerbeschwerden ein. Sabine Rötschke vom Landratsamt Bautzen zufolge ist inzwischen "Ruhe eingekehrt. Die Befürchtungen der Bürger im Vorfeld sind nicht eingetreten. Erfreulicherweise haben sich die vorgebrachten Bedenken und Beschwerden der Bürger hinsichtlich Sicherheit, Kriminalität oder Übergriffe auf Einheimische nicht bewahrheitet".
Die meisten der Bewohner in der Rossendorfer Flüchtlingsunterkunft kommen aus Syrien. Aber auch Familien aus Afghanistan, Albanien, Eritrea und Mazedonien und Serbien leben jetzt dort. Heimleiter Ingolf Gute zufolge sind unter ihnen etwa 25 Prozent Frauen und knapp 20 Prozent Kinder. Ein Mädchen besucht eine Schule, die anderen Kinder sind größtenteils im Kindergartenalter. Doch die Möglichkeit, einen Kindergarten zu besuchen, haben sie bislang noch nicht. Die meiste Zeit sind die Kinder drinnen und toben auf den langen Fluren umher. Auf dem nahegelegenen Spielplatz fühlen sie sich nicht wohl, sagt Rascha Al Mohammed. Es soll vorgekommen sein, dass Einheimische dort zu den Flüchtlingen gesagt haben: "Haut ab". Auch eine Bank wurde abmontiert. Eine Frau aus Albanien ergänzt, dass viele Anwohner nicht grüßen würden, wenn sie zu ihnen "Guten Tag" sage.
Doch es geht auch anders: Einige Anwohner aus der Siedlung engagieren sich in der Unterkunft, geben Tanz- oder Sprachkurse. Zusätzlich kommen Menschen von außerhalb, koordiniert vom Bündnis "Radeberg hilft". Ein freiwilliger Helfer ist der Dresdner Student Tom Hildebrandt, der in der Nähe als studentische Hilfskraft am Helmholtz-Zentrum jobbt. Er gibt einer zehnjährigen Syrerin Nachhilfe, damit sie in der Schule eine Chance hat. Seine Motivation: "Ich möchte einfach helfen. Zwar habe ich nicht viel Geld, dafür aber Zeit." Heimleiter Gute sagt, dass das Zusammenleben mit den Anwohnern einigermaßen gut funktioniere. Zwar gebe es schon ab und zu auch einmal Beschwerden von Nachbarn, dass irgendwo Papier herumliege oder die Mülltonnen übervoll seien. Auch war es bei einer Veranstaltung in der Flüchtlingsunterkunft kürzlich etwas zu laut geworden, aber die Kritikpunkte konnten schnell aus dem Weg geräumt werden. Alles in allem, so der Heimleiter, sei es "ein friedliches Nebeneinander. Einige meiden uns und andere kommen her und packen mit an". Auch Spannungen und Konflikte unter den Flüchtlingen selbst hätten bislang rasch geklärt werden können.
© 2015 MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK