Es gab einmal den Versuch von einigen Ländern, ein internationales Abkommen abzuschließen, nach dem niemand Waffen für den Weltraum entwickeln sollte. Aber das ist bis heute leider nicht in Kraft getreten. Aber es ist natürlich so: Nicht alles, was nicht ausdrücklich verboten, ist deshalb gut und richtig. Das wissen wir aus dem täglichen Leben: Ich sollte mich nicht nur daran orientieren, was verboten ist, sondern ich sollte natürlich auch meinem gesunden Menschenverstand folgen und danach handeln, was gut und richtig ist. Und da kann ich in diesem Zusammenhang schon Zweifel äußern.
Könnte es denn passieren, dass die raumfahrttreibenden Staaten wenigstens jetzt, vor dem Hintergrund des neuen Anti-Satelliten-Tests, schärfere Regeln beschließen?Also ganz nüchtern gesprochen, glaube ich das nicht. Wir haben ja beispielsweise gehört, dass auch die Amerikaner eine Space Force aufbauen wollen, also eine neue Waffengattung neben ihrer Air Force oder der Navy. Aber das heißt trotzdem nicht, dass ein Wettrüsten nun alle erfassen sollte. Ich glaube, das wäre auch die falsche Vorgehensweise. Die ESA wird da nicht mitmachen. Aber auch das ist wie im normalen Leben: Sie können nicht verhindern, dass andere mit anderen Werten und anderen Urteilen ihr eigenes Leben gestalten. Deshalb ist es aber trotzdem richtig, dass man sich selbst treu bleibt.
Müsste man nicht Staaten in der Raumfahrt sanktionieren, die durch solche Versuche letztlich die Sicherheit aller Satelliten oder gar bemannter Raumfahrzeuge gefährden?Wir hatten mit der indischen Raumfahrtbehörde ISRO bisher sehr wenig zu tun. Natürlich werde ich mit den Kollegen darüber reden, wie sie sich dazu stellen. Die Frage ist, wie unabhängig die zivile Raumfahrtbehörde Indiens von dem militärischen Teil der Regierung ist; das weiß ich nicht genau. Wir haben mit Indien nur relativ wenig zu tun, obwohl ich immer versucht habe, die Beziehungen zu intensivieren.
Allerdings ist mir Folgendes sehr wichtig: Isolation hat noch nie geholfen. Deshalb arbeiten wir auch mit Ländern zusammen, bei denen wir vielleicht hin und wieder nicht die Werte teilen. Und trotzdem ist es sinnvoll, zusammenzuarbeiten. Denn irgendwie müssen wir ja die Krisen auf der Erde durch vernünftige Maßnahmen überbrücken. Und zivile Raumfahrtprojekte überbrücken irdische Krisen, was wir immer wieder sehen. Das würde ich auch hier sagen: Es darf keinen Anlass geben, wegen dem man nicht mehr auf ziviler Ebene zusammenarbeitet.
Wie geht es nun weiter - wird sich das Wettrüsten weiter zuspitzen? Immerhin hat Indiens Kontrahent Pakistan ja schon bekannt gegeben, selbst keine Anti-Satelliten-Waffen anzustreben. Manche Analysten sagen dagegen, Indiens Test sei eher eine Machtdemonstration gegenüber China gewesen.Ich hoffe, dass der indische Abschuss außer einer Machtdemonstrationen überhaupt keinen sonstigen Wert hat. Was will ich denn damit machen? Will ich damit jetzt jeden Satelliten, der bei mir vorbeikommt, abschießen? Das ist ja keine Perspektive. Ich hoffe, dass das nicht als ein echtes Aufrüsten zu verstehen ist.
Ich bedanke mich für das Gespräch. Ergänzungen Nur ein Tag nach diesem Gespräch, das am 28. März 2019 stattfand, endete die zweiwöchige Konferenz bei den Vereinten Nationen in Genf. Zwei Tage vor Ende dieser Konferenz führte Indien den Abschuss seines Satelliten durch. Wie in diesem Interview vermutet, endete die Konferenz ohne Ergebnis. Der Vorsitzende Guilherme de Aguiar Patriota Das Interview erschien am 3. April ebenso auf Spektrum.de. auf einer Pressekonferenz, die Staaten seien trotz des indischen Tests „nicht sonderlich offen gegenüber den nötigen Schritten" zu einem neuen Weltraumvertrag.