Stuttgart sz Die Landeshauptstadt hat ein neues Kindermädchen - und das ist ein Altbekanntes: Mary Poppins. Der gleichnamige Film über die zauberhafte Kinderfrau hat seit den 1960er-Jahren Generationen von Kindern begeistert. Das dazugehörige Musical, das sich sowohl an dem Disney-Film als auch an den Büchern von P.L. Travers orientiert, hatte am Sonntag Premiere im SI-Centrum in Stuttgart.
Nachdem das letzte neue Musical in Stuttgart, „Rocky", beim Publikum nicht so gut ankam und deshalb Ende des Jahres vorzeitig abgesetzt wird, ruhen jetzt die Hoffnungen auf „Mary Poppins". Und die scheinen sich laut Pressestelle des Theaters bisher zu erfüllen. Der Vorverkauf laufe gut, ist dort zu erfahren. Nicht zuletzt mag dies an den vielen Fans des bekannten Disney-Films „Mary Poppins" liegen. Viele kennen die Geschichte, in der das mit magischen Fähigkeiten ausgestattete Kindermädchen mit dem Wind in das Haus der Familie Banks geflogen kommt. Dort erzieht sie mit Humor und Strenge nicht nur die ungezogenen Kinder, Jane und Michael Banks, sondern auch deren Eltern.
Düsterer als der FilmBesucher, die eine Version des heiteren Disney-Films auf der Bühne erwarten, werden eine Überraschung erleben. Zwar orientiert sich die Bühnenversion, die aus der Feder von Julian Fellows, dem Autor der bekannten britischen Historienserie „Downton Abbey", stammt, am Film. Fast zu gleichen Teilen sind aber auch Episoden aus den Büchern der australischen Mary-Poppins-Erfinderin P.L. Travers enthalten. Sie machen das Stück, das in der Inszenierung von Richard Eyre und Sir Cameron Mackintosh 2004 Premiere am Londoner West End feierte, ernster und düsterer als den Disney-Film.
Aufstand der ZinnsoldatenIns Musical wurden außerdem zusätzliche, im Film nicht enthaltene Szenen und Lieder integriert, geschrieben von George Stiles und Anthony Drewe. Einige davon erzeugen eine gruselige Atmosphäre, die der Film so gar nicht hat. Für kleinere Kinder könnten einige der Szenen vielleicht sogar zu schaurig sein. Zum Beispiel die, in der Mary Poppins die Spielzeuge von Jane und Michael Banks zum Leben erweckt. Hier tappen Teddybären und Zinnsoldaten mit ausdruckslosen Gesichtern auf der Bühne herum und zwingen die Kinder, ins Bett zu gehen. Zu diesem Schauspiel hüpft Valentin, eine Stoffpuppe, der von den Geschwistern zuvor der Arm halb abgerissen wurde, auf der Bühne herum und beschwert sich über die schlechte Behandlung der Spielzeuge.
Fans des Disney-Films werden trotz der vielen Unterschiede aber nicht enttäuscht. Bühnenbild und Kostüme, beide entworfen von Bob Crowley, orientieren sich stark an dem Look des Films. Das Bühnenbild sieht vielen Szenen aus dem Film zum Verwechseln ähnlich: Straßenszenen aus dem England des frühen 20. Jahrhunderts, das Innere des Hauses der Familie Banks und der Dachfirst mit Blick auf die Schornsteine des viktorianischen Londons. Da führt zum Beispiel eine gewundene Treppe vom Wohnzimmer hoch in das Kinderzimmer der Geschwister Jane und Michael. Dann senkt sich einfach das Dach des Hauses und schon befindet sich der Zuschauer dort und kann den unzähligen Schornsteinen Londons beim Rauchen zusehen.
Auch die Kostüme zitieren Mode des frühen 20. Jahrhunderts, freilich ist alles viel bunter als damals. Ob Gehrock oder Zylinder, Spitzenbluse oder langer Rock - bei „Mary Poppins" auf der Bühne darf's schon ein bisschen greller sein - quietschgrüne Kleider, rote Anzüge. Und natürlich gibt es auch den berühmten Regenschirm mit Papageien-Griff, mit dem Mary Poppins auch im Stuttgarter Theater über die Köpfe der Zuschauer fliegen kann.
Echte OhrwürmerDie bekanntesten Lieder aus der preisgekrönten Filmmusik von Richard M. und Robert B. Sherman dürfen im Musical „Mary Poppins" natürlich nicht fehlen. Bei „Ein Teelöffel Zucker" oder „Chim-Chim-Cheree" bleibt es nicht aus, dass das Publikum laut mitklatscht und singt.
Ausgezeichnete BesetzungDass das Musical in Stuttgart das Gefühl des Films aus den 1960-Jahren aber so gut transportiert, liegt vor allem an der ausgezeichneten Besetzung der Hauptrollen. Das wohl bekannteste Kindermädchen der Welt wird in Stuttgart von Elisabeth Hübert gespielt. Sie dürfte einigen Musical-Fans noch aus ihrer Rolle als Jane in der deutschen Erstaufführung von Tarzan bekannt sein. Seitdem ist Hübert reifer geworden: In „Mary Poppins" verkörpert sie das Kindermädchen streng und steif. Stets stolziert sie mit kerzengeradem Rücken auf der Bühne, und trägt ihre behandschuhten Hände gerne, fast wie Angela Merkel, vor dem Bauch verschränkt. Doch spätestens, wenn sie den Kindern erklärt, was das Wort „Supercalifragelisticexpialigetisch" bedeutet - nämlich alles, für das einem gerade das Wort nicht einfällt - zeigt auch diese steife Mary Poppins, dass sie den Schalk im Nacken hat und hüpft vergnügt durch die Kulissen.
Mehr Tiefe als der FilmAuch David Boyd, der Mary Poppins Freund Bert bereits bei den Aufführungen in Wien verkörperte, weiß zu begeistern. Bert fungiert im Musical wie im Film zum Teil als Erzähler. Vor allem aber verkörpert er das, was den Eltern George Banks (Livio Cecini) und Winifred Banks (Jennifer van Brenk) fehlt: Zufriedenheit. So springt David Boyd als Schornsteinfeger über Kamindächer und hilft Mary Poppins dabei, der Familie Banks wieder Familiensinn einzuimpfen.
Das neue Musical in Stuttgart in der Inszenierung von Geoff Garratt und James Powell liefert mehr Geschichte und Tiefe als der Mary-Poppins-Film - und behält dabei trotzdem dessen Leichtigkeit. Schade nur, dass Dirigent Bernd Steixner ein recht kleines Orchester leiten darf. Denn teilweise kommen die Musiker kaum gegen die Stimmen der mehr als 30 Ensemblemitglieder an. Aber das ist nur ein kleiner Wermutstropfen in einer ansonsten gelungenen Bühnenadaption von Mary Poppins.
Karten für „Mary Poppins" gibt es unter www.tickets.schwaebische.de oder unter der Telefonnummer 0751/ 29555777.
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