Bei der "Alm Residency" arbeiten Münchner Kreative in Berghütten
Der Strom ist ausgefallen, und das Wasser läuft gerade auch nicht mehr. Aber: "Es geht hier ja nicht um Luxus", sagt Christian Muscheid und lacht. Der Maler hat die Abgeschiedenheit gesucht, im Jagaheisl am Rechelkopf hat er sie gefunden. Für zehn Tage hat Muscheid sein Atelier auf dem Domagk-Gelände in München gegen Voralpenansicht und Waldluft eingetauscht. Seine Gesellschaft in der Blockhütte: Leinwand, Farbe und Hund Kuno.
Zum ersten Mal veranstaltet die Münchner Künstlergruppe Super Plus in diesem Jahr eine "Alm Residency". Christian Muscheid ist einer von vier Teilnehmern, die zehn Tage lang in Almhütten zwischen Tegernsee und Bad Tölz leben und arbeiten. Das Motto: "Leave a trace, show your footprints". Die Künstler sollen sich mit der naturbelassenen Voralpen-Idylle auseinandersetzen - und wählen dabei unterschiedliche Wege.
Christian Muscheid hat sich den abstrakten Formen und der Farbe verschrieben. Vor seiner Blockhütte malt er im Freien, plein air - wie einst die Künstler des Blauen Reiter, Franz Marc und Wassily Kandinsky. Die Grüntöne der Tannen, Wiesen und Farne, die sich je nach Tageszeit und Sonnenlicht verändern, inspirieren ihn. Muscheid kombiniert das Grün mit leuchtenden Neonfarben in Orange und Rot, erkundet die beinahe dreidimensional wirkende Räumlichkeit, die er durch das Zusammenspiel der Farbtöne erzeugt.
Janina Totzauer studiert Bildhauerei an der Akademie der Bildenden Künste. In ihrem Auslandssemester in Kapstadt hat sie sich mit Schamanismus beschäftigt. Bei der "Alm Residency" arbeitet sie daher konzeptuell, stellt in der 100 Jahre alten Ochsenhütte vergessene okkulte Bräuche der Region nach: Totzauer befragt das Orakel, indem sie Fischknochen an die Decke wirft, sie schnitzt Talismane und segnet diese mit Weihwasser, sammelt Morgentau, der gegen Sommersprossen helfen soll. Die Riten filmt sie, für die Vernissage entsteht ein Kurzfilm, mit dem Totzauer hinterfragt, wie aufgeklärt unsere westliche Gesellschaft eigentlich wirklich ist.
Die Fotografinnen Magdalena Jooß und Petra Höglmeier setzen sich ironisch mit dem Thema "Selfie" auseinander. Das Künstler-Duo hat eine Lichtung entlang des Wanderwegs fotografiert und mit digitalen Filtern und Effekten am Computer eine trashigen Optik verliehen. Nun lassen sie das Bild im Maßstab 1:1 auf eine 15 Quadratmeter große wetterfeste Plane drucken, die sie dann am Aufnahmeort installieren. Mit "E" markierte Bäume zeigen, wo es Handyempfang gibt und von wo aus man sein Selfie in die Welt schicken kann. So entsteht ein Selfie-Spot, der Besucher dazu bringen soll, ihre Selbstinszenierung zu hinterfragen.
Mit der "Alm Residency" will Hauptorganisator Alexander Deubl Künstler aus München in die Voralpen holen, will den kulturellen Austausch von Stadt und Land fördern. Die Kunstwerke, die in einer Woche "Alm Residency" entstanden sind, werden deshalb zum Abschluss auf dem Bauernhof Gut Oberkammerloh präsentiert: Dann werden Totzauers Kurzfilm und die Video-Dokumentation von Jooß und Höglmeier an die holzgetäfelte Wand in der Stube projiziert. Und im ehemaligen Kuhstall hängen die in Neonfarben leuchtenden Bilder von Christian Muscheid zwischen Futtertrog und Spinnweben. Maximaler Kontrast garantiert.
Deubl und seine Künstlergruppe Super Plus wollen die "Alm Residency" etablieren. Nächstes Jahr sollen die Künstler zwei Wochen oder gar einen Monat auf der Alm verweilen können. Außerdem will Deubl Sponsoren finden, die für Verpflegung, Reise- und Materialkosten aufkommen. Und bis dahin gibt es im Jagaheisl bestimmt auch wieder Strom und fließendes Wasser.