Langsam senkt der Friedhofsarbeiter die Urne in das kleine Grab hinab. Eine kleine ausgemergelte Frau tritt zuerst heran. Sie spritzt Weihwasser hinab, wirft zwei kleine Schaufeln Erde nach. Dann öffnet sie eine kleine Plastikflasche und gießt eine dunkelbraune schäumende Flüssigkeit hinterher. "Cognac-Cola", vermutet einer der Umstehenden und fügt leise hinzu, "damit er unterwegs nicht verdurstet." Die anderen nicken und lächeln ein wenig wehmütig. "Das passt."
Erinnerungen an einen Spaßvogel
"Dieter Schulze* 1961-2013" steht in schlichten schwarzen Buchstaben auf dem kleinen Holzkreuz. Nur rund ein Dutzend Trauergäste sind an diesem Freitag zu seiner Beisetzung auf dem Caritas-Gräberfeld des Freiburger Hauptfriedhofs gekommen: Freunde und Bekannte des Verstorbenen aus der Wohnungslosen-Szene, die Gesichter von einem Leben am Rande der Gesellschaft gezeichnet, außerdem einige Mitarbeiter der Caritas. Gemeinsam erinnern sie sich an diesem grauen Wintertag an Dieter, der in seiner schwarzen Lederjacke mit langen Fransen und silbernen Nieten durch das Haus St. Gabriel polterte. An den Spaßvogel, der gerne einmal einen Cognac-Cola über den Durst trank und der ihnen ein treuer und hilfsbereiter Weggefährte war.
"Er hörte für sein Leben gerne in voller Lautstärke Andrea Berg - das war für so manchen jüngeren Mitbewohner eine ziemliche Herausforderung", sagt Sozialarbeiterin Monika Riedinger in ihrer Traueransprache. Die kleine Trauergemeinde schmunzelt bei der Erinnerung. Einer nach dem anderen treten sie an das Grab, nehmen Abschied von ihrem Kameraden. Zwei Freunde legen sich gegenseitig tröstend den Arm um die Schultern. Dass sie dazu Gelegenheit haben, ist nicht selbstverständlich. Gäbe es das Caritas-Gräberfeld nicht, wäre Dieter wohl anonym und ohne Trauerfeier, als einer unter vielen, beigesetzt worden.
"Jede Leiche muss bestattet werden" - so steht es im Bestattungsgesetz. Zur Bestattung verpflichtet sind Ehe- und Lebenspartner, Eltern, Großeltern, volljährige Kinder, Geschwister und Enkelkinder. Doch nicht jeder Mensch hat in den letzten Lebensjahren Angehörige um sich, nicht jeder kann die Kosten tragen.
Wenn Menschen wie Dieter Schulz wohnungslos oder einsam in Pflegeheimen oder Krankenhäusern versterben, wird Dominique Kratzer informiert. Für die Leiterin des Standesamts beginnt dann die Arbeit. "In den Personenstandsregistern beginnen wir die Suche nach Angehörigen", erzählt sie. "So ermitteln wir den Geburtsort und suchen dann über das dortige Standesamt weiter. Wenn nötig haben wir auch Zutritt zu der letzten Wohnung des Verstorbenen und können dort nach dem Stammbuch suchen." 2013 wurde das Standesamt Freiburg in 152 Fällen mit der Ermittlung von Angehörigen beauftragt. In 59 Fällen konnte Dominique Kratzer keine bestattungspflichtigen Angehörigen ausfindig machen und ordnete daher auf Kosten der Stadt eine ordnungsbehördliche Bestattung an. Hierfür werden die Verstorbenen eingeäschert, ihre Urnen werden mit anderen anonym beigesetzt. Zwei Mitarbeiter der Friedhofsverwaltung nehmen die Beerdigung in aller Stille vor und notieren die genaue Lage der Urnen auf dem anonymen Gräberfeld. In kürzester Zeit wächst hier sprichwörtlich Gras über die Lebensgeschichten der Verstorbenen.
"Für Dieter wäre dieses anonyme Verscharren nichts gewesen", sagt Monika Riedinger und blickt über das Gräberfeld. Vor allem alleinstehende und mittellose Personen, die zuletzt die Hilfe der Caritas angenommen haben, werden hier mit Namen bestattet. Eine wichtige Alternative zur anonymen Beisetzung, findet Martin Pfetzer, der sich als Sozialarbeiter der Caritas seit einigen Jahren um das Gräberfeld kümmert. "Das bedeutet eine ganz andere Wertschätzung für den Verstorbenen. Außerdem haben Freunde und Bekannte so einen Platz, an dem sie trauern und sich erinnern können", sagt der Sozialarbeiter. 350 Urnen wurden hier seit 1986 beigesetzt. Stiefmütterchen und Heidekraut säumen die schlichten, steinernen Grabplatten, auf denen Namen und Lebensdaten der Verstorbenen eingemeißelt sind.
Die Kosten für Einäscherung und Beisetzung trägt - wie auf dem anonymen Gräberfeld - die Stadt, Blumen und Grabplatten werden durch Spenden der umliegenden Kirchengemeinden finanziert. Die Grabpflege übernehmen Menschen, die in Wohnungslosen-Einrichtungen der Caritas leben. "Freiwillige Helfer finden sich immer genug", erzählt Pfetzer. "Die sagen, ich mach das gern, wenn der Hannes oder die Erika hier einen Platz kriegt."
Am Grab spielt die Konfession keine Rolle
Auch Dieter Schulze half früher gelegentlich bei der Gartenarbeit auf dem Gräberfeld mit. Nun haben Freunde an seinem Grab Rosen niedergelegt, ein rotes Grablicht leuchtet vor dem kleinen Holzkreuz. Für Dieter ist das Caritas-Feld die richtige Ruhestätte, glaubt Riedinger. "Die Caritas war seine soziale Heimat. Viele, mit denen er auf der Platte war, liegen hier."
Pater Franz Hoch, Herz-Jesu-Priester in der Seelsorgeeinheit an der Glotter, leitet seit 1995 immer wieder Trauerfeiern für die Caritas. "Die Menschen, die auf der Schattenseite leben, sollen auch ein würdiges Begräbnis haben", sagt er nach der Beisetzung. Die Verstorbenen kennt er meist nicht. Auch bei Dieter Schulze fasst er sich daher kurz. Ein Vaterunser, ein Ave Maria. An religiöse Konfessionen gebunden ist die Beisetzung auf dem Caritas-Gräberfeld aber nicht. "Ich bin Sozialarbeiter und kein Kleriker", sagt Martin Pfetzer.
Langsam läuft er durch die Reihen des Caritas-Gräberfelds. Einige Verstorbene kannte der Sozialarbeiter persönlich. "Wohnungslosigkeit hat etwas mit kurzem Leben zu tun", sagt Pfetzer nachdenklich. Auch Dieter Schulze wurde nur 52 Jahre alt. Doch zumindest wird bald eine Grabplatte mit seinem Namen weitere 15 Jahre an seine Person erinnern.
*Name von der Redaktion geändert
Autor: Karen Bauer