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Das Problem der Tennis-Generation Wut

Seit Jahren scheitern die Youngster daran, die etablierten Stars an der Spitze des Tennis zu verdrängen. Für Aufsehen sorgen sie vielmehr mit Eskapaden.

Auch Alexander Zverev leistete sich zum Abschied mal wieder einen Wutausbruch: Beim Aus im Achtelfinale der US Open gegen Diego Schwartzman schrie Zverev im vierten Satz das F-Wort über den Platz und kassierte dafür einen Strafpunkt, der die Vorentscheidung im Match brachte.

Es ist nicht das erste Mal, dass Zverevs Emotionen überkochen - und er anschließend verliert. Immer wieder zertrümmert der ehrgeizige 22-Jährige seine Schläger oder verstrickt sich in Diskussionen mit dem Referee. Seinem Spiel hilft das nur selten.

"Er muss seine Gedanken auf dem Platz besser ordnen. Da passieren Sachen, die nicht passieren dürfen", kommentiert Tennis-Coach Sascha Bajin diese Undiszipliniertheiten bei SPORT1.

Ausraster bei Zverev und Co. der Normalfall

Auffällig ist, dass Zverev mit diesen Ausrasten nicht allein ist - das zeigt allein der Blick auf die erste Woche in New York. Viel mehr sind solche Vorfälle der Normalfall bei den jungen Spielern.

Zuerst legte sich der 21-jährige Grieche Stefanos Tsitsipas bei seinem Erstrunden-Aus gegen Andrey Rublev mit dem Schiedsrichter an und beschimpfte diesen als "Spinner".

Dann schlug der 23-jährige Russe Daniil Medvedev einem Balljungen das Handtuch aus der Hand, tippte sich mit dem Mittelfinger an die Stirn und sorgt seitdem Runde für Runde mit provokanten Interviews für Aufsehen, leistete sich zuletzt sogar eine versteckte Mittelfinger-Geste.

Schließlich meckerte auch der chronisch ausfallende Australier Nick Kyrgios bei seinem Ausscheiden in der dritten Runde und nannte einen Linienrichter "Whistleblower".

Image-Problem der Next-Gen

Bei allen diesen Spielern kamen solche Vorfälle auch schon in der Vergangenheit vor. Die "Next Gen" hat sich schlichtweg nicht im Griff - und ein Image-Problem. Das zeigen Pfiffe der Zuschauer und deutliche Worte der Beteiligten.

Zverev thematisierte das in diesen Tagen sogar selbst, als er sich zuerst über die lange Toilettenpause seines 21 Jahre alten Kontrahenten Frances Tiafoe echauffierte und später auch Medvedevs Aktionen gegen das Publikum kritisierte: "So ein Image möchte ich nicht für die jungen Spieler haben", sagte er.

Zumal die Wut-Attacken meist mit sportlichen Enttäuschungen einhergehen. Bis auf Buhmann Medvedev sind die aufbrausenden Jungstars allesamt ausgeschieden. Neben den erfahrenen Champions Roger Federer, Rafael Nadal und Stan Wawrinka steht ausgerechnet der 23-jährige Italiener Matteo Berrettini als extrem ruhiger Überraschungsmann in der Runde der letzten Acht.

Bajin: "Sie langweilen sich"

Coach Bajin, seit Jahren Teil des Tennis-Zirkus, glaubt, dass sich in den emotionalen Ausbrüchen der jungen Generation ein grundlegendes Problem zeigt: "Sie langweilen sich, sie sind nicht inspiriert." So ähnlich hat das Tsitsipas selbst nach seinem Ausscheiden formuliert. Und auch Kyrgios in der Vergangenheit regelmäßig.

Genau darin sieht Bajin den Grund, wieso die Ü30-Champions Federer, Nadal und Djokovic weiterhin dominieren. Seit 2003 holte die alten Tennis-Garde 54 von möglichen 65 Grand-Slam-Titeln. Von den jungen Hoffnungsträgern schaffte es nur der (mittlerweile schon 26-jährige) Österreicher Dominic Thiem in ein Finale.

"Die ältere Generation hat die Langeweile perfektioniert. Die können Tag ein und aus das Gleiche machen. Die wissen, warum sie das machen und sind stets motiviert", meint Bajin. Dagegen seien die Spieler unter 25 Jahren anders aufgewachsen und sozialisiert: "Die Welt ist einfach schneller geworden, mit Social Media und hohen Erwartungen. Das macht es den Jungen nicht leicht."

Becker moniert Einstellung

Ähnlich hatte im Sommer auch Tennis-Legende Boris Becker argumentiert. "Es gibt eine gewisse Mentalität, welche die jüngeren Spieler nicht und welche die großen Drei haben", sagte er: "Es geht nicht um die Vorhände, es geht nicht um die Fitness. Es ist die Denkweise und Einstellung, die den Unterschied zwischen Gewinnen und Verlieren macht."

Das beste Beispiel ist Roger Federer: In jungen Jahren war auch der heute so geschätzte Maestro ein echter Heißsporn auf dem Platz, dem manches böse Wort und so einige Schläger entglitten. Als Riesentalent stand sich auch der junge Federer bei den Grand-Slam-Turnieren anfangs selbst im Weg und verlor allzu oft die Nerven.

Dann kassierte er 2001 in Hamburg gegen den Argentinier Franco Squillari eine richtungsweisende Niederlage. "Alles war in diesem Match falsch, ich war sehr wütend. Ich habe mein Racket zertrümmert und mir gedacht: 'Ich kann mich nicht mehr so verhalten.'", erinnerte sich der Schweizer: "Und das war der Augenblick, in dem ich mich in meiner Karriere verändert habe. Das war der Wendepunkt."

Seitdem ist Federer auf dem Platz ein Gentleman und bleibt fast immer ruhig. "Wenn man diesen Frieden, diese Harmonie gefunden hat, dann beginnt man, das beste Tennis zu spielen", sagte er. Worte, bei denen die neue "Generation Wut" aufhorchen sollte. Für das Image und die ganz großen Triumphe.

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