Premier League : Wie Mourinho Tottenham wieder auf Kurs gebracht hat
Analyse Zuletzt gab es in der englischen Woche schlechte Ergebnisse. Doch das ändert nichts daran, dass Trainer José Mourinho die Spurs konsolidiert hat und mit ihnen um die Spitzenplätze mitspielt. Das hätten ihm nach seiner desaströsen Zeit bei Manchester United die Wenigsten zugetraut.
Die zurückliegende englische Woche lief nicht nach den Vorstellungen von José Mourinho und seinen Tottenham Hotspur. Erst war da das Unentschieden gegen Crystal Palace (1:1), gefolgt von der Last-Minute-Niederlage im Spitzenspiel gegen den FC Liverpool (1:2) und einem 0:2 gegen Leicester City. „Das bessere Team hat verloren", hatte er LFC-Trainer Jürgen Klopp zugeworfen und bei Sky Sports eine ähnliche Analyse der Niederlage gegen die „Foxes" wiederholt. Da war er wieder, der alte „The Special One", der grantelnde, poralisierende, schlechte Verlierer, frohlockten seine Kritiker.
Dabei hatte der Portugiese sie in den vergangenen Monaten Lügen gestraft, nicht nur, weil er sich öffentlich stets gut gelaunt, witzelnd und charmant präsentierte und auch auf seinem Instagram-Account mit trockenem Humor bestens unterhielt. Sondern vor allem, weil dem 57-Jährigen etwas gelungen ist, das ihm die Wenigsten bei seiner Amtsübernahme im November 2019 zugetraut hätten: Er hat die Nordlondoner wieder zu einem Team gemacht, das um die Spitzenplätze der Premier League mitspielt.
Schon in der Vorsaison hatte er die Spurs vom 14. noch auf den sechsten Rang geführt, in dieser Saison vor der englischen Woche für fast einen Monaten von der Tabellenspitze gegrüßt. Es war das erste Mal seit sechs Jahren, dass die als chronisch erfolgslos verspoteten Spurs - die letzte Meisterschaft liegt 59 Jahre zurück - Tabellenführer waren. Und das, nachdem sie in dieser Saison unter anderem schon Manchester United (6:1), Manchester City (2:0) und Arsenal (2:0) ausgestochen und den ruhmreich verstärkten FC Chelsea auf Distanz gehalten haben (0:0). Hiernach angesprochen auf die Meisterschaftschancen seiner Mannschaft, stapelte Mourinho bei Sky Sports tief: "Wir sind noch nicht einmal im Rennen. Wir sind kein Pferd. Wir sind nur ein Pony", sagte er, konnte sich ein schelmisches Grinsen jedoch nicht verkneifen.
Noch im November 2019 schlug die englische Fußball-Öffentlichkeit die Hände vor dem Gesicht zusammen, als Mourinho zum Nachfolger des hochgeschätzten Mauricio Pochettino von Spurs-Präsident Daniel Lewy mit den Worten „In Jose haben wir einen der erfolgreichsten Trainer im Fußball verpflichtet" gekürt wurde. Zu präsent war noch der Scherbenhaufen, den Mourinho nach zweieinhalb Jahren Regentschaft bei Manchester United hinterlassen hatte, wo er sich mit der Klubführung und schließlich auch seiner Mannschaft überwarf. Der „Guardian" bezeichnete die Inthronisierung Mourinhos bei Tottenham deshalb als ein „Akt des Vandalismus".
Schon die Rückkehr zum FC Chelsea war zuvor mächtig schief gelaufen. In Manchester wurde er Woche um Woche garstiger und schlecht gelaunter, schoss verbal gegen alles und jeden. „Ich habe mehr Premier-League-Titel gewonnen als die 19 anderen Trainer zusammen" sagte er kurz vor seiner Demission in Manchester und streckte den Reportern drei Finger entgegen. Mourinho gegen den Rest der Welt. Sein Ruf schien unwiderruflich ramponiert.
Nicht, dass ihm die Rolle des Bösewichts etwas ausmachte, aber die ausbleibenden Erfolge zehrten zunehmend an ihm und seinem Ego. Er erschien nur noch als ein Relikt von einst, irgendwie aus der Zeit gefallen. Er wirkte wie jemand, der sich wütend an sein erhabenes Standing im Weltfußball klammerte und nicht bemerkte, dass es Zeit ist, zu gehen: Für ihn und seinen pragmatischen, manche sagen auch desktruktiven Defensivstil schien es keinen Platz mehr im modernen Fußball zu geben
Doch nun, bei den Spurs, beweist er allen, dass dem nicht so ist. Nicht etwa, indem er eine große Metamorphose durchlaufen hätte. Noch immer lässt Mourinho nicht Fußball spielen, um die Fans zu verzücken, sondern um den größtmöglichen Erfolg zu haben. „Ballbesitz ist für Poeten und Philosophen", entgegnete er jüngst auf Kritik am Spielstil, nachdem sein Team Arsenal mit nur 35 Prozent Ballbesitz geschlagen hatte.
Der Schlüssel, warum die Liasion Mourinho und Tottenham funktioniert, sind die Spieler bei Tottenham. Sie passen optimal zu seinem Spielstil und machen ihn für den Gegner überhaupt erst so brandgefährlich - allen voran das kongeniale Sturm-Duo Heung-Ming Son (elf Tore, vier Vorlagen) und Harry Kane (neun Tore, zehn Vorlagen). Die beiden haben in dieser Saison nicht nur 20 der 25 Tore Tottenhams erzielt, sondern sich gegenseitig zwölf Tore davon aufgelegt. Sie verstehen sich blind. Nur noch vier Son-Kane-Tore fehlen, um Didier Drogba und Frank Lampard (ehemals FC Chelsea) als beste Tore-Partnerschaft in der Liga-Historie abzulösen.
Mourinhos Prinzip ist denkbar einfach: Mit zwei Viererketten tief verteidigen, dem Gegner keine Lücke lassen und nur wenig bis kaum die Gegenspieler anlaufen. Ob Powerfußall, Pressing, Ballbesitz, alles scheint an der Abwehr der Spurs zu zerschellen. Bei Balleroberung geht es dann in rasender Geschwindigkeit in den gegnerischen Strafraum.
Der englische Nationalstürmer Kane agiert unter Mourinho dabei in ungewohnter Rolle: Immer wieder lässt er sich aus der vordersten Angriffsreihe ins Mittelfeld fallen, macht Bälle fest und spielt diese hoch und weit mit einer wahnwitzigen Präzision und Verlässlichkeit auf den Fuß des pfeilschnellen Umschaltspielers Son, der sich vor des Gegners Tor immer mehr zum eiskalten Vollstrecker entwickelt.
Ergänzt wird das Angriffspiel vom technisch feinen Neuzugang Steven Bergwijn (kam von PSV Eindhoven) oder dem schnellen Giovani Lo Celso. Auch die Außenverteidiger Serge Aurier und der von Real Madrid gekommene und sich als Glücksgriff erweisende Sergio Reguilon schalten sich mit Flanken aus dem Halbfeld ein. Und wenn nicht Kane die Pässe aus dem Mittelfeld schlägt, dann sind es der im Sommer von Southampton gekommene Pierre-Emile Hojberg (ehemals FC Bayern) oder der eigentlich schon aussortierte, aber nun brillierende Tanguy Ndombele. Hojberg kommt als Ballverteiler eine zentrale Rolle zu und immer wieder ist er es, der mit Ball das Tempo bestimmt. Da scheint es kaum erwähnenswert, dass der verloren geglaubte Sohn Gareth Bale zurück bei den Spurs ist. Er kommt meist nur von der Bank.
Die Anfälligkeit des mourinho'schen Systems wird dann deutlich, wenn die brillianten Offensivspieler eben mal einen nicht so guten Tag erwischen und wie zuletzt nicht so kaltschnäuzig ihre Chancen nutzen - wie gegen Liverpool. Brendan Rodgers und Leicester City schlugen Mourinho und die Spurs mit ihren eigenen Waffen: schnelle Konter. Nach der schlechten englische Woche sind Mourinho und sein Team auf Platz sechs abgerutscht, der zweite Platz ist aber nur zwei Punkte weg, Tabellenführer Liverpool sechs Punkte. Da, wo Mourinho insgeheim hinmöchte, um es wieder mal allen zu zeigen.