Comeback von Ibrahimović in der schwedischen Nationalelf "Das zwingt Zlatan, ein anderer Mensch zu sein"
Vor seinem Rücktritt galt Zlatan Ibrahimović als Sonnenkönig der schwedischen Nationalelf und soll Mitspieler gemobbt haben. Mit 39 ist der Superstar nun zurück und gibt sich demütig. Kann das gut gehen?
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Die Rückkehr Gottes begann mit Tränen. Fünf Jahre nach seinem Rücktritt gibt Zlatan Ibrahimović am Abend bei der WM-Qualifikation gegen Georgien sein Comeback in der schwedischen Nationalmannschaft. Die "Rückkehr Gottes" hatte der 39-Jährige das ganze Unterfangen selbst genannt. Aber als er am Montag zum ersten Mal seit fünf Jahren wieder als schwedischer Nationalspieler vor die Presse trat, weinte der sonst so unerschütterliche Ibrahimović.
Grund war der Abschied von seinen beiden Söhnen. Seit er von Los Angeles nach Europa zurückgekehrt ist, leben Frau und Kinder in Stockholm, er selbst spielt in Mailand Fußball. Die Länderspielpausen waren wegen der Pandemie für Ibrahimović zuletzt die einzige Möglichkeit, seine Familie zu sehen. Nun blieben ihm nur ein paar Stunden mit ihr, ehe er sich wenige Kilometer entfernt in die Hotel-Blase begeben musste, die es zurzeit um Fußball-Nationalmannschaften gibt.
"Das war eine völlig neue Seite von Zlatan. Ich habe mit einem Kollegen gescherzt: Er ist nicht nur Gott, er ist auch Mensch", sagt der Journalist Olof Lundh, der das schwedische Nationalteam seit knapp 20 Jahren für den Fernsehsender TV4 begleitet.
Olof Lundh ist kein gewöhnlicher Journalist. Er ist im Grunde derjenige, der das Bild von Zlatan Ibrahimović in Schweden verändert hat - zum Negativen. 2020 hatte Lundh ein Buch über die Nationalmannschaft veröffentlicht, das Sprengkraft barg und beinahe an Majestätsbeleidigung grenzte. Mehrere Spieler und Mitarbeiter äußerten anonym schwere Anschuldigungen gegenüber Ibrahimović. Da war von einer "deprimierenden Kultur des Schweigens" die Rede. Offenbar wagte niemand Widerworte, wenn er sich Sonderrechte rausnahm und keiner schritt ein, wenn Ibrahimović einzelne Spieler vor dem Rest des Teams niedermachte.
Die Veröffentlichungen traten eine Welle los in Schweden, die bekannteste Tageszeitung "Aftonbladet" legte nach: Ein Mitarbeiter des Betreuerstabs sprach von "Erwachsenenmobbing auf hohem Niveau". Schon 2017 hatte Schwedens Rekordspieler Anders Svensson auf einem Vortrag über Ibrahimovićs Umgang im Team gesagt : "Mitunter benahm er sich so besorgniserregend schlecht gegenüber einigen Spielern, dass man sich fragte, was da eigentlich gerade passierte."
Nun, da Ibrahimović zurückkehrt, fragen sich viele in Schweden: Kann das gut gehen?
Die schwedische Auswahl ist längst eine andere als zu Ibrahimovićs Zeiten. Vielmehr noch, sie konnte ohne ihren Überspieler größere Erfolge feiern als mit ihm. Schweden qualifizierte sich nicht nur mit dem besten Ergebnis seit 1994 für die WM-Endrunde 2018 in Russland, man schaffte es dort auch sensationell bis ins Viertelfinale. Das Erfolgsrezept war das Kollektiv. Kein Spieler stand über einem anderen. Vor dem Turnier hatte Ibrahimović noch getönt: "Eine WM ohne Zlatan ist keine WM." Mit ihm aber hatte Schweden zweimal in Folge die Weltmeisterschaft verpasst. Und konnte bei den Turnieren 2002 und 2006 kein Ausscheidungsspiel gewinnen.
Dennoch sehen ihn viele seiner Landsleute als besten schwedischen Fußballer der Geschichte. Noch immer umgibt ihn mit 39 Jahren eine Aura der Extravaganz, noch immer sorgt er auf dem Platz für die besonderen Momente. In diese Saison hat Ibrahimović für den AC Mailand in 15 Spielen bereits 15 Tore erzielt. ( Lesen Sie hier mehr dazu!)
Er sagt jetzt zwar immer noch Sätze wie: "In meinem Kopf bin ich der Beste der Welt." Aber Ibrahimović gibt sich plötzlich auch demütig: "Das hilft hier gerade nicht. Ich bin Teil eines Puzzles", sagt er am Montag. Auf seine angestammte Rückennummer 10 hat er verzichtet. Leipzigs Emil Forsberg hätte sie ihm überlassen, aber Ibrahimović wählte die 11.
So wie am Montag auf der einstündigen Pressekonferenz vor dem WM-Qualifikationsspiel gegen Georgien hat der Journalist Lundh Ibrahimović noch nie erlebt. Noch nie habe er sich so viel Zeit genommen. Und noch nie habe er sich so zurückhaltend geäußert. Lundh glaubt: "Das ist ein Signal, dass er verstanden hat, nicht einfach zurückkommen zu können und alles wie davor ist. Ihm ist bewusst, dass er sich anpassen muss, wenn er den Respekt seiner Teamkollegen erlangen möchte."
Hat Ibrahimović sich also verändert?
Zumindest die Kultur im und um das Nationalteam habe sich gewandelt, sagt Lundh. Die alten Spieler und Funktionäre, die Ibrahimović nach dem Mund redeten und ihm alles durchgehen ließen, seien nicht mehr da. Es gebe eine flache Hierarchie, mit einem durchsetzungsstarken Trainer Janne Andersson, der im Gegensatz zu seinem Vorgänger Erik Hamren Ibrahimović keine Versprechungen von Macht und Einfluss gegeben habe, um ihn zu seiner zweiten Rückkehr nach 2009 zu bewegen. "Andersson wurde mir gegenüber im Interview sehr deutlich, hat sinngemäß gesagt: Ich bin der Trainer, ich entscheide, er ist der Neue in der Gruppe, mit der wir etwas erreicht haben; er muss sich einfügen." Eine Einsatzgarantie gebe es nicht. Ibrahimović als Bankspieler - eigentlich undenkbar.
So war es jedenfalls früher, als er wie ein Sonnenkönig über das Nationalteam geherrscht und die Aufstellungen mitbestimmt haben soll.
Ibrahimović hat nie geleugnet, einen rauen Umgang mit seinen Mitspielern zu pflegen. Er deutete sogar an, dass das seine Art sei, um sie zu Gewinnern zu machen. Und wenn man das nicht aushalte, sei man eben nicht gemacht für den Profisport. Der Journalist Olof Lundh sieht die Schuld dafür aber auch beim Schwedischen Fußballverband (SvFF), der sich von Ibrahimovićs Strahlkraft abhängig gemacht hat. "Er füllte die Stadien, holte die Sponsoren an Bord, er sorgte für sehr viel Geld. Deshalb wollte ihm niemand die Laune verderben. Also haben alle das getan, was Zlatan wollte."
Das scheint nun Vergangenheit zu sein. Das Team hat sich angesichts der Erfolge von Ibrahimović emanzipiert und verfolgt einen menschlicheren Umgang miteinander. Statt sich für Fehler anzuklagen, bestärke man sich gegenseitig, bleibe positiv, auch wenn es nicht gut laufe, und jeder arbeite für jeden - inklusive der Stürmer, sagt Lundh. "Das zwingt Zlatan, ein anderer Mensch zu sein."
Längst ist eine junge Generation nachgerückt: Alexander Isak (21, Real Sociedad), Dejan Kulusevski (20, Juventus Turin), oder Mattias Svanberg (22, FC Bologna). Sie alle sind mit ihm als lebende Legende aufgewachsen, haben Ibrahimović 2012 als Jugendliche beim Fallrückziehertor gegen England bestaunt, nun spielen sie mit ihm zusammen. "Ich glaube, dass Zlatan diesen jungen Kerlen viel geben kann. Er setzt den Maßstab und zeigt ihnen, wie sie da hinkommen können", sagt Lundh. Und es sei eine Generation, die über seine halb selbstironisch, halb ernst gemeinten Gott-Vergleiche lachen könne. Diese absichtliche Selbstübersteigerung, sagte Ibrahimović einmal, hat er sich als Erfolgsrezept von Muhammed Ali abgeschaut.
Doch warum tut sich Zlatan Ibrahimović die Nationalmannschaft in Zeiten vollgepackter Spielpläne überhaupt noch mal an? "Er will ein besseres Ende seiner Karriere im Nationalteam", sagt Lundh. Bei der kommenden EM kann er Lothar Matthäus als ältesten Feldspieler der Turnier-Geschichte ablösen und der älteste Torschütze werden. Wenn sein Körper mitmache, könne er sich sogar vorstellen, bei der WM 2022 mitzuspielen, dann wäre er 41. Um dann endlich mal bei einer Weltmeisterschaft zu treffen, das ist ihm nämlich noch nie gelungen.
Sollte das Experiment mit ihm schiefgehen, würde er wohl sein eigenes Denkmal beschädigen. Olof Lundh glaubt: "Derjenige, der das größte Risiko eingeht, ist Zlatan Ibrahimović."