Porträt. Kobaltblaue Mähne, bodenlange Glamourtoga. Die „Goddess of Pop“ schwebt als außerirdische Aphrodite in einem goldenen Käfig über ihre Tänzer hinweg. Ihre schlanke Figur wiegt im Takt, Glitzer schimmert auf ihren dunklen Liedern.  „It’s a Woman’s World“ schallt Chers unverkennbar tiefe, rauchige Stimme durch die Wiener Stadthalle. Das Kreischen der über 11.000 Fans flaut ab, geht in stumme Erwartung über. „Mich akzeptieren Schauspieler nicht als Schauspielerin und Sänger nicht als Sängerin. Trotzdem habe ich einen Oscar und einen Grammy bekommen. Und was macht Eure Oma heute Abend?“, flötet die Diva. Grölender Applaus. 

Cher ist die einzige Sängerin, der in allen sechs Dekaden ihrer Karriere einen Nummer-eins-Hit in den Billboard-Charts gelungen ist. Ein Oscar, ein Grammy und drei Golden Globes sind nur einige Highlights ihrer Trophäensammlung. Das Vermögen des Popstars wird auf rund 620 Millionen US-Dollar geschätzt. 

Ihr Geld gibt Cher freimütig aus: Ausgefallene Designeroutfits, champagner-getränkte Partynächte und Schönheitsoperationen am ganzen Körper sind für sie alltägliche Spesen. Dank ihrer exhibitionistischen Kleiderwahl und ihren glattgebügelten Schenkeln versprüht die 73-Jährige noch immer Sexappeal. Dessen ist sich die Skandalomi auch bewusst: Sie verabredet sich mit Jungspunden wie Tom Cruise oder Eric Stoltz. 

Von Alleinerzieherin zu Alleinerzieherin 

Chers aktueller Lebensstil steht in Kontrast zu ihren familiären Wurzeln. Ihr Vater verließ die Familie als sie zehn Monate alt war. „Wir hatten so wenig Geld, dass ich meine Schuhe mit Gummibändern zusammenhalten musste“, erinnert sie sich an seine Kindheit. 

Im Alter von sechzehn Jahren brach Cher die Schule ab und zog nach Hollywood. Sie verliebte sich in den 25-jährigen Musiker Sonny Bono. Als Duo „Sonny and Cher“ gelang dem Paar mit Hits wie „I Got You Babe“ der Durchbruch. Das Glück weilte nur kurz, die Künstlerin ließ sich scheiden. Ihre Anklage: Sonny hielte sie in einer „unfreiwillige Knechtschaft“ und würde sie nicht über ihr Vermögen verfügen lassen. Die Sängerin bekam das Sorgerecht für die gemeinsame Tochter Chaz Bono. Kurz darauf scheiterte ihre zweite Ehe mit Rockmusiker Gregg Allman. Aus dieser Beziehung geht Chers Sohn Elijah Blue hervor.  

Pussy Power 

Als ihre Mutter sie nach den Scheidungen dazu ermunterte, sich einen reichen Mann zu suchen und sich niederzulassen, erwiderte Cher: „Mum, ich bin ein reicher Mann.“ In der feministischen Szene wird die Künstlerin für ihre Unabhängigkeit bejubelt und für ihre Sexmasche kritisiert. Manche werfen ihr vor, ein unrealistisches Körperbild zu vermitteln. Für die Autorin Yvonne Tasker ist Chers ästhetische Wandlung hingegen ein Ausspruch der weiblichen Selbstbestimmung: „Sie hat ihr Aussehen verändert, weil sie von Männern unabhängig sein will. Sie möchte ihre Karriere unter ihren eigenen Bedingungen gestalten.“ 

Die Sozialrebellin engagiert sich für Kriegsveteranen, Kinderschutz und Gender Diversity. Als ihre Tochter Chaz sich zum Mann umoperieren ließ, wurde Cher auf die gesellschaftliche Diskreditierung von sexuellen Minderheiten aufmerksam. Sie begann sich für die Rechte der LGBTQ-Community einzusetzen und gilt heute als Botschafterin der Szene.

Bordeauxrote Mähne, braves Jeansoutfit. Nach zwei Stunden Live-Show verlieren die Schritte der 73-Jährige an Sprungkraft. Trotzdem kokettiert sie mit den Tänzern. „Do you believe in life after love?“, grölt die Menge. Cher legt ihr Mikro ab, Tänzer klopfen ihr auf die Schulter. Schließlich wankt sie im Chacha-Schritt von der Bühne und überlässt das große Finale ihrem Team. Zumindest hier weiß die Popikone, wann es Zeit ist zu gehen.