Im Viertelfinale Brasilien gegen Kolumbien haben beide Teams unglaublich viel gefoult. Trauriger Höhepunkt war sicher das kolumbianische Knie in Neymars Rücken, das beim brasilianischen Superstar zum Wirbelbruch führte hat. Spätestens seitdem wird heftig über die Schiedsrichterleistung bei dieser WM diskutiert. Auch Urs Meier wundert sich. Er selbst hat jahrelang für die FIFA gepfiffen und weiß, wie es auf dem Platz und hinter den Kulissen zugeht.
PULS: Angeblich gab es eine Ansage der FIFA an die Schiedsrichter, lasch zu pfeifen. Ist das mittlerweile bestätigt?Urs Meier: Im Gegenteil. Das ist von der FIFA sehr heftig dementiert worden. Trotzdem sieht man, dass zu großzügig gepfiffen wird und keine gelben Karten für Unsportlichkeiten gegeben werden, zum Beispiel für Schwalben. Es wurden auch in den ersten Minuten keine gelben Karten gezeigt, obwohl es da zum Teil wirklich grobe Foulspiele gab. Alles in allem wurde schon sehr zurückhaltend bei dieser Weltmeisterschaft gepfiffen. Das wurde oft kritisiert und trotzdem wurde nichts geändert. Wie man sieht, rächt sich das: Wenn man nichts macht, wird der Fußball immer brutaler.
Was wird denn mit so nem laschen Pfeifen bezweckt?Man ist sehr großzügig in diese WM eingestiegen und viele Spiele wurden dadurch attraktiv. Den Zuschauern hat das gefallen, da war ein Jubelschrei: "Jawoll, Fußball mit viel Herz!" Man hat aber oft übersehen, dass es auf die Spieler geht. Sie werden zum Ziel, nicht mehr der Ball. Damit geht der Schutz für Fußballer verloren, die einen schönen Fußball spielen oder für kleinere Fußballer, die körperlich nicht so robust sind. Dabei ist der Schutz der Spieler die Hauptaufgabe eines Schiedsrichters.
Wenn die Schiedsrichter weniger pfeifen, hat das was sie pfeifen mehr Einfluss. Wie läuft denn das - reicht dann jemand nen Zettel rein auf dem steht: "Brasilien soll gewinnen"?Ich hoffe nicht (lacht)! Nein, um Gottes willen, solche Ansagen gibt es ganz sicher nicht. Das wäre das Ende des Fußballs. Die Schiedsrichter bei dieser WM machen ihren Job mit Leidenschaft. Die meisten sind noch Amateure. Die wollen hier eine gute Leistung bringen - sonst werden sie in den Medien zerrissen und das könnte das Ende ihrer Karriere sein.
Wie werden denn Fehlentscheidungen von Schiris nach dem Spiel aufgearbeitet?Nach dem Spiel werden kritische Punkte noch mal durchgegangen. Aber auch während des Spiels sagt man den Assistenten, was gut gelaufen ist und was nicht. Manchmal auch, ob man in der zweiten Halbzeit strenger pfeifen muss. Aber in dieser WM hat man nie das Gefühl gehabt, dass sich da was verändert. Es musste leider erst das Foul an Neymar passieren, dass ein Umdenken einsetzt.
Zum Halbfinale heute Abend: Deutschland, als relativ faires Team, gegen Brasilien, die ja teils hart zur Sache gehen. Was heißt das fürs Spiel?Nach so einem unfairen Spiel wie zwischen Brasilien und Kolumbien folgt normalerweise ein Spiel, in dem es fair zugeht. Ich erwarte darum ein normales Spiel. Die Deutschen sind sowieso eine sehr, sehr faire Mannschaft. Nicht nur in diesem Turnier, auch in anderen Turnieren der letzten Jahre waren sie immer das fairste Team. Die Brasilianer können es sich nicht leisten, grob zu spielen. Schließlich schaut die ganze Welt zu.
Hat Schiedsrichter Marco Rodríguez aus Mexiko das im Griff? Seine bisher wichtigste Szene war ja der Biss von Luis Suárez im Spiel gegen Italien - und die hat er übersehen...Die kann man auch übersehen. Das Spielgeschehen war 20 Meter auf der anderen Seite, darauf hat er sich konzentriert. Das würde ich ihm nicht als großen Fehler anlasten. Er ist sehr erfahren. Das ist die dritte WM, die er pfeift. Vor allem 2010 war er richtig gut drauf. Da hat er auch Deutschland gegen Australien gepfiffen, wo die Deutschen hoch gewonnen haben. Das ist eigentlich ein gutes Omen.