Als mein Wecker am Silvestermorgen um 11.11 Uhr klingelt, blicke ich auf die vier gleichen Zahlen und wünsche mir etwas. Wie jeden Tag setze ich zuerst meinen rechten Fuß auf den kalten Laminatboden, dann den linken und stehe auf.
Als wir am Silvesterabend zu viert kochen, meinem Freund das Salz aus der Hand rutscht und sich auf dem Küchenfußboden verteilt, sage ich: "Oh, oh." Und als ich verstehe, dass keiner den Ernst der Lage versteht, ergänze ich: "Salz verschütten bringt Pech." Alle lachen. Also hebe ich ein paar der Salzkörner auf, stelle mich ans offene Fenster und werfe sie über die linke Schulter hinter mich. Irgendwer muss es ja machen.
Als ich kurz vor Mitternacht auf die Straße eile, Wunderkerzen, Goldregen und zwei Sektschalen in der Hand, und meine Nachbarin mich fragt, ob ich rote Unterwäsche trage, so wie sie, denke ich: Endlich arbeitet mal jemand mit.
Als ich mir den Daumen an einer Wunderkerze verbrenne, mein Freund sich Champagner über das T-Shirt schüttet und einem unserer Freunde sein Handy auf den Boden fällt und das Display bricht, denke ich: Na, wenn das mal keine schlechten Zeichen sind.
In den kommenden zwei Tagen verbrenne ich mir noch zwei Mal die Hand am Ofen. Man könnte glauben, dass ich einfach nur unvorsichtig mit heißen Gegenständen umgehe, ich hingegen denke: Ich hab's geahnt.
Der Jahreswechsel ist eine Zeit, in der ich besonders abergläubisch werde. Alle glücksbringenden, pechvermeidenden und wunscherfüllenden Rituale müssen an diesem Tag korrekt ausgeführt werden, schließlich geht es um nichts Geringeres als die Weichenstellung für die kommenden 365 Tage. Über die Jahre hat sich ein festes Programm etabliert: die Uhrzeit, der rechte Fuß, eine Wunderkerze, die ich jedes Jahr angucke, als könne sie das wirklich: Wunder vollbringen.
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