Eins vorweg: Das Albumcover von „Terrorarium" täuscht. Heikel sieht es aus für den Hasen, die waranartige Echse scheint hungrig zu sein und leckt sich vorfreudig die Lippen. Der Titel des Albums setzt noch eins drauf. Terrorarium. Was als düstere Rockplatte getarnt erst einmal irreleitet, ist in Wirklichkeit ein feines Retro-Indie-Album mit Pop-, Blues und Psychedelic-Anleihen und durchaus großem Potenzial.
Aus dem Land kommend, das einem vor allem für Popmusik à la ABBA im Gedächtnis bleibt, sorgen Anna Leong für ein hoffnungsvolles Strahlen im schwedischen Indie-Olymp. Wer nun aber bei dem alles andere als schwedisch klingenden Bandnamen mit einer weiblichen Liedermacherin rechnet, liegt schon wieder falsch. Anna Leong sind Jonas Bergsten, Erik Hörnsten, Daniel Nylén und Filip Sundberg; vier Mittzwanziger aus Umeå, dem hohen Norden Schwedens. Damals, 2003, als alle noch am Studieren waren, fanden sie sich erstmals zusammen und sorgten bald regional mit Livekonzerten für Furore. Eine Lokalzeitung bezeichnete damals ihren Song „Fever" als Hit des Jahres. „Fever" wurde einige Zeit später auch die Debütsingle der Band, mit der sie landesweit bekannt wurden. Das erste Album After The Forest Fire folgte kurz nach der Singleveröffentlichung und war zumindestens in Schweden viel beachtet.
Mit „Terrorarium", das wie auch schon das Erstlingswerk vom bandeigenen Label White Weekend verlegt wird, wollen die vier nun endlich auch international Anerkennung finden, was sich etwas schwieriger als gedacht erweisen könnte. Der entspannte Indie-Pop von Anna Leong ist kein Instant-Dauerbrenner. Das wiederum heißt natürlich nicht, dass das Album schlecht ist. Wie schon erwähnt zeigt es gewaltiges Potenzial! Denn was auf den ersten Blick als Schwachstelle daherkommt, hat mitunter am Besten an Terrorarium gefallen: Die volle Wirkung entfaltet sich erst nach dem zweiten, dritten, vierten Hören. Dann, wenn man die kleinen Feinheiten entdeckt. Wenn die Arrangements an Vordergründigkeit verlieren und die Songs in ihre Einzelteile zerfallen, sich wieder finden und dann vollständig erschließen. Wenn man nicht mehr mitwippt, weil die Musik irgendwie cool, sondern ein alter Bekannter geworden ist. Genau dann fangen Anna Leong an, wirklich Spaß zu machen.
Nehmen wir zum Beispiel „Let's Fall In Love". Zu Beginn nichts anderes als ein hübscher Pop-Song mit eingängiger Melodie, leicht psychedelischem Gitarrenspiel und stimmungsvoller Piano-Einleitung. Nach mehreren Durchgängen aber entwickelt sich eine derart relaxte Grundhaltung, dass man sich - ganz im Sinne des Songtitels - am liebsten in jede einzelne der luftig-leichten Noten verlieben möchte. Ganz ähnlich ist es mit „Guillotine", dem Opener. Kaum hat man sich der Retro-Rock-Assoziationen entledigt, sticht die melancholische Unmittelbarkeit des Tracks ins Ohr, gewinnt die Orgel an Stärke und der Song an Eigenständigkeit. Das größte Kunststück der jungen Schweden ist es aber, mit jedem Song gelöster, der eigenen Musikalität sicherer und letztendlich auch selbstständiger zu klingen. Da driftet die Gitarre auch schon mal schwelgerisch in Soli ab („Pagan's Dance"), können Orgel und wildgewordenes Xylophon kaum im Zaun gehalten werden („Pulling Down The Blinds") und auch die Mundharmonika findet immer wieder wie von selbst ihren Weg in den Mund und die Songs - von den im Chor gesungenen Uh-Uhs und Ah-Ahs ganz zu schweigen („Something You Know"). Und so kommt es, wie es kommen muss: Im großartigen „Hercules", einer Abrechnung mit dogmatischen Lebensstilen, finden Anna Leong ihren Höhepunkt. Als finaler Paukenschlag und Essenz des Vorangegangenen trohnt es in seiner schwelgerischen Klarheit zurecht am Ende der Platte. Und birgt dabei die schönste Liedtextzeile, über die sich zu stolpern lohnt: „I take the next bus to junk food heaven".
Und, liebe Freunde gesellschaftskritischer Texte, was hier so hübsch verpackt ist, schlägt auf der lyrischen Ebene ganz andere Töne an. Es geht um Armut, Kindesmissbrauch, kleinkariertes Vorstadtleben und soziale Ungerechtigkeit - um nur einige der Themen zu nennen, die verarbeitet werden. Mit Terrorarium - einem Begriff der erst in den Songlyrics seine beiden Komponenten voll ausschöpft - wollen uns die vier Herren aus dem hohen Norden auf die alltäglichen Schrecken in der abgeschirmten Welt unserer Kleinstädte hinweisen. Darauf, dass wir nur allzu oft - wie die Kaninchen in der trügerischen Sicherheit der uns bekannten Welt - nichtsahnend vor der aus der Dunkelheit des Schweigens kommenden Echse sitzen. So ergibt das Cover letztendlich dann doch noch Sinn.
Fazit: Ein Album, bei dem nicht nur die Melodie trotz trauriger Note leichtfüßig und umschmeichelnd groß geschrieben wird. Sicher nicht mainstream-tauglich, aber zweifelsohne bald ein Liebhaberstück unter Freunden des guten Musikgeschmacks.
Terrorarium von Anna Leong wird am 17. Oktober 2008 in Deutschland veröffentlicht.