Sabine Resch: Die Faszination, die von Luxusmarken ausgeht, spüren auch Jugendliche, wobei das immer auf die jeweilige Peergroup ankommt, also die Gruppe, zu der man sich zugehörig fühlt. Was ich aber interessant finde, ist, dass in diesen Videos häufig Luxusmarken mit Fast Fashion gemischt werden, zum Beispiel mit Marken wie Zara oder mit Secondhandklamotten.
Aber wie kommt es, dass Luxusmarken bei Jugendlichen präsenter zu werden scheinen?Luxusmarken fingen bereits in den Achtzigerjahren an, auch für Kinder und Jugendliche zu produzieren. Die Kinder der Luxuskundin sollten später auch mal dieselbe Marke kaufen wie ihre Mutter. Das ist eine gängige Strategie: Alteingesessene Männermodehäuser zum Beispiel haben irgendwann Frauenmode produziert, um sich neue Zielgruppen zu erschließen. Und nun halten die Jugend und ihr Streetstyle endgültig Einzug in die Luxusmode.
Das hat mit der heutigen Hip-Hop-Szene nicht mehr viel zu tun, oder?Die Bewegung hat sich ins Gegenteil verkehrt. Kanye West zum Beispiel macht Hip-Hop und Klamotten. Die werden unter anderem vom Designer Virgil Abloh entworfen, der mit seinem Label Off-White ganz oben in der Gunst der jungen Leute steht. Abloh ist mittlerweile auch Chefdesigner für die Männerlinie von Louis Vuitton. Damit ist es offiziell: Streetstyle gehört zur Luxusmode.
In Deutschland besingt zum Beispiel der Rapper Veysel Schuhe der Luxusmarke Balenciaga. Dessen Chefdesigner, Demna Gvasalia hat mit seinem eigenen Label Vetements vor ein paar Jahren ein gelbes T-Shirt mit einem roten DHL-Schriftzug auf den Markt gebracht hat. Preis: 245 Euro. Was ist hier passiert?Hier hat eine sogenannte Kontextüberschreitung stattgefunden. Der Begriff stammt aus der Kunst. Marcel Duchamp hat 1917 ein handelsübliches Urinal ausgestellt und zur Kunst erklärt, also den eigentlichen Kontext des Objekts überschritten. Die Kontextüberschreitung hat auch längst in der Mode Einzug gehalten. Streng genommen war ja schon der Sakkoanzug mit Hemd und Krawatte für die Frau eine solche: Ein Outfit, das über Jahrzehnte nur der geschlossenen Welt der Geschäftsmänner vorbehalten war, wurde plötzlich von einer ganz neuen Bevölkerungsgruppe getragen. Bei dem DHL-Shirt wurde mit dieser Strategie etwas Banales ins Luxuriöse gehoben und damit kommerzialisiert.
Da wir gerade beim Dechiffrieren sind: Kann man auch den Bildungshintergrund an der Klamotte ablesen?Geschmack und Stil können sich im wahrsten Sinn des Wortes bilden. Aber wer sich nur mit teuren Luxusmarken zuhängt, ist noch lange nicht stilvoll gekleidet oder gar gebildet. Es gibt im Gegenteil die These: Je gebildeter, desto zurückhaltender im Stil. Ich denke, das stimmt häufig. Wobei zurückhaltend nicht bedeutet, nicht an Luxusmode teilzunehmen. Es bedeutet nur, sich nicht das totale Bling-Bling auszusuchen.
Nun wird ja gerade gesellschaftlich auch viel über Klimaschutz, Minimalismus und Konsumverzicht diskutiert. Wie passt das mit dem Interesse an Luxusmarken zusammen?Klimaschutz und Minimalismus, beispielsweise in Form der Ordnungsratgeber von Marie Kondo, sind eine große Bewegung unserer Zeit, aber nicht die einzige. Stile, Trends und Lebensführungen sind heute so pluralistisch wie nie. Nicht jeder mistet ja aus und lebt dann minimalistisch. Manche misten auch nur deshalb aus, um Neues zu kaufen.
Kann man denn ökologisch bewusst leben und an Luxusmode teilhaben?Dazu muss man die „Angebermarken" - für mich zum Beispiel Philipp Plein - von den Marken unterscheiden, die ich die „stillen" Marken nenne. Die pflegen eher ein Understatement, und hier kann ein Mantel auch 20 Jahre halten, weil er qualitativ hochwertig in Material und Herstellung und zeitlos im Stil ist. In der Luxusmode gibt es zudem längst auch wirklich nachhaltige Labels, wie beispielsweise Stella McCartney, Gabriela Hearst oder aus München Allude, die in ihrer Cashmere-Klinik Pullover reparieren.
Hat die Lust am Luxus eigentlich auch etwas mit den gesellschaftspolitischen Umständen zu tun, in denen die Menschen leben?
Die Autorin Silvia Bovenschen hat bereits in den Achtzigerjahren geschrieben: Mode ist ein Krisenthema. Das heißt, wir fangen wieder mehr an, über Mode zu sprechen, wenn wir uns in Krisen- und Umbruchzeiten befinden. Das Glamouröse in der Mode am Ende der 1920er-Jahre etwa lässt sich mit einer „Jetzt erst recht"-Haltung erklären. Das bildet derzeit die Serie „Babylon Berlin" übrigens gut ab, in der die Grundstimmung ja aus Fatalismus und Feiern besteht. Ich beobachte so etwas in der Art heute auch. Klimawandel, Pandemie, neu aufkommender Nationalismus - unsere Zeit ist von großen Herausforderungen geprägt. Und die Jugendlichen in den YouTube-Videos sind mit ihren Luxusmarken vielleicht auch ein Anzeichen dafür.
Sabine Resch ist Professorin für Modejournalismus an der Akademie Mode und Design in München. Ihre Schwerpunkte sind Modeanalyse und Storytelling.Dieser Text wurde veröffentlicht unter der Lizenz CC-BY-NC-ND-4.0-DE. Die Fotos dürfen nicht verwendet werden.