Frisches Obst auf dem Markt El Sayida Hescha | Foto: Bernhard Ludewig
Kairo ist ein „Weltwunder an Diversität", sagt Günther Hasenkamp. Im Interview spricht der Mitarbeiter des dortigen Goethe-Instituts über frisch ausgegrabene Mumien, den ersten Tag der Arabellion und ein Traumprojekt am Nil.
Stimmt es eigentlich, dass die Ägypter große Liebhaber von Süßem sind? Goethe-Mitarbeiter Hasenkamp: „Improvisation ist Pflicht." | Foto: © Bernhard Ludewig Hasenkamp: Das kann ich mit drei Ausrufezeichen bejahen!!! Es gibt hinreißende Sachen in den Konditoreien, vieles mit Pistazien. Ich kenne nicht alle Süßigkeiten beim Namen, sondern zeige einfach darauf. Man bekommt sehr schöne Kartons zusammengestellt. Ich esse das wahnsinnig gerne, meine Kolleginnen haben das leider schnell herausgefunden. Was bewegt die Menschen in Kairo derzeit am meisten? Die Frage, wie alles weitergehen soll. Die Wirtschaft schwankt, der Tourismus ist kollabiert - draußen an den Pyramiden ist man als Reisender jetzt möglicherweise ganz allein. Mit einer Heerschar von Fremdenführern, Verkäufern, die alle nichts zu tun haben. Die Menschen sind besorgt, das Land ist noch nicht über den Berg. Wer das Minarett der Ibn-Toulon-Moschee erklimmt, wird mit einer sagenhaften Aussicht belohnt. | Foto: © Bernhard Ludewig Wo ist Kairo am schönsten? Im Al-Azhar-Park. Der war früher eine Müllkippe. Dieser Park ist das beste Entwicklungsprojekt, das ich je gesehen habe. Die Agha-Khan-Foundation hat ihn gebaut. Im Park gibt es eine Art Amphitheater, wo wir mitunter Konzerte gemacht haben. Da hat man einen unglaublichen Blick in alle Richtungen. Welches Gericht sollte man sich in Kairo auf keinen Fall entgehen lassen? Koshary, das ist das ägyptische Nationalgericht. Es besteht aus Reis, Makkaroni und Linsen, darauf geröstete Zwiebel, garniert mit einer scharfen Tomatensoße. Das gibt es an jeder Ecke. Dazu ägyptisches Fladenbrot, aish balady, das überall von jungen Männern mit dem Fahrrad durch die Stadt transportiert wird - in Palmholzkisten, die sie auf dem Kopf balancieren, manchmal zwei übereinander. Eine Frage des Anstands: Was sollte man in Kairo auf keinen Fall tun? Ungeduldig werden. Nicht alles geht gleich. Improvisation ist Pflicht. Und was sollte man nicht vergessen zu tun? Sich stundenlang durch Downtown treiben zu lassen. Downtown ist ein Weltwunder an Diversität und ein grandioses Nebeneinander von bröckelnder Pracht und 21. Jahrhundert, im Sommer backofenheiß. Am Freitag sollte man zum Mittagsgebet das Minarett der Ibn-Toulon-Moschee erklettern, es die älteste und schönste. Man schaut über die ganze Stadt. Leicht zeitversetzt ertönt dann der Azan, der Gebetsruf der Muezzine aus allen Moscheen, ein grandioser Klangteppich, der die Welt zum Schweben bringt. Da kommt einen Moment lang, paradoxerweise, alles zur Stille. Das Imbissangebot eines Straßenhändler im brodelnden Downtown. | Foto: © Bernhard Ludewig Was lieben die Kairener über alles? Geselligkeit. Und Fußball - alle kennen Bayern München! Tee trinken, das ist nie verkehrt. Mobil telefonieren. Jede E-Mail mit dem Satz beginnen: „I hope this message finds you well." Wir Deutschen fangen immer gleich mit dem Thema an. Was wäre Ihr Traumprojekt? Ein langes Konzert mit Orchesterbesetzung, komponiert von arabischen und deutschen Musikern und aufgeführt „open air". Ungefähr so wie die Bach-Nacht in Moskau 1999, oder Markus Stockhausens Gezeiten 2011 an der Nordseeküste - Stockhausen hatte sogar die Sirene eines Seenotrettungskreuzers in das Stück eingebaut. Stilistisch gern an Philipp Glass' hinreißendes Film-Stück „Koyaanisqatsi" angelehnt. Irgendwo am Nil. Aber das ist ein Traum. Hereinspaziert: der Eingang des Goethe-Instituts in Kairo. | Foto: © Bernhard Ludewig Welche Erfahrung werden Sie nie vergessen? Da fallen mir zwei ein. Zum einen: Dienstag, 25. Januar 2011, der erste Tag der ägyptischen Revolte, gegen fünf am Nachmittag auf dem Tahrir-Platz. Viele Truppen des Innenministeriums in ihren schwarzen Uniformen, und anstelle von Wasserwerfern war da ein einsamer roter Löschwagen geparkt. Aus allen Richtungen trafen die Demonstranten ein. Eine junge Frau bot uns Mundschutzmasken an, gegen das Tränengas, das dann auch kommen sollte. Sie war vorbereitet, wir waren nur Beobachter. Zum anderen: Ein Wintertag im selben Jahr, früh morgens um halb sechs bei Luxor in Oberägypten, mit deutschen Archäologen auf einer Ausgrabungsstätte - am „Schnitt" nennen sie das. Sonnenaufgang, man fröstelt, in der Flussebene steigt ein bunter Ballon auf. Das „Tal der Könige" ist gleich um die Ecke. Und dann liegt da die Mumie, frisch ausgegraben, und die Archäologin nimmt ihren Zeichenblock und die Bleistifte und beginnt zu arbeiten. Sie zeichnet die Mumie, denn das ist genauer als Fotografie. Die Fragen stellte Julia Hägele.
Günther Hasenkamp ist 1956 in Vechta, Niedersachsen, geboren. Als Kind war er ein großer Tierbildsammler, weswegen er es sich gut vorstellen konnte, Förster zu werden. Mit seinem Anglistik- und Slawistikstudium wäre er im Wald jedoch nicht weit gekommen. Seit 1989 arbeitet er stattdessen für das Goethe-Institut. Seine Stationen waren Budapest, München, Almaty, Moskau und schließlich Kairo, wo er heute die Abteilung Kulturprogramme leitet. Für das Nordlicht war München ein größerer Kulturschock als Kairo. Übrigens: Wenn er mehr Zeit hätte, würde Günther Hasenkamp Gitarrenunterricht nehmen.
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