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Kaum zu glauben - Predigten langweilen

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Formate wie das ökumenische Jugendtreffen des Männerordens Communauté de Taizé ziehen jedes Jahr Zehntausende junge Leute aus Deutschland und der ganzen Welt an.

(Foto: Catherine Leblanc/imago)

Von Julia Fietz und Anna-Maria Salmen

Ein Gottesdienst ist in der Regel nicht besonders spannend. Der Ablauf ist immer der gleiche und der Pfarrer, wenn man Pech hat, nicht unbedingt mit glänzenden rhetorischen Fähigkeiten gesegnet. Im Jahr 2018 gingen im Erzbistum München und Freising durchschnittlich noch 9,4 Prozent der Katholiken zum Sonntagsgottesdienst, im Vergleich zu 2017 (9,9 Prozent) ist der Anteil leicht gesunken. Wer dann einmal wirklich sonntags in der Kirche sitzt und den Blick über die Reihen wandern lässt, sieht zumeist vor allem grauhaarige Köpfe. Der Großteil der Jugendlichen und jungen Erwachsenen bleibt dem Gottesdienst fern.

Auch viele Gläubige im Alter von 16 bis 24 Jahren erzählen, dass die übliche Gottesdienstform ihnen nichts geben könne, dass sie sich langweilten und ihre Zeit auch sinnvoller verbringen könnten. Formate wie das ökumenische Jugendtreffen des Männerordens Communauté de Taizé ziehen hingegen jedes Jahr Zehntausende junge Leute aus Deutschland und der ganzen Welt an. Und das, obwohl sie auf regelmäßigen Gebetszeiten und Gottesdiensten basieren, die eine ständige, meditative Wiederholung der Lieder und eine zehnminütige Stille beinhalten. Ebenfalls Teil des Tagesablaufs sind Gesprächskreise zum Glauben, außerdem Workshops und Vorträge zu tagesaktuellen Themen.

Alternative Formate, um zur Ruhe zu kommen und seinen Glauben zu leben, kommen bei jungen Leuten meist besser an als der sonntägliche Kirchengang. In Garching können die Studierenden der TU bei einer Meditation wöchentlich etwas Stille im Alltag finden. Die katholische Jugendstelle Trudering organisiert jedes Jahr eine Fahrt nach Taizé. Diese Beispiele sind nur zwei von vielen, die zeigen, dass es jungen Leuten nicht an einem Bedürfnis nach Andacht und Ruhe mangelt, sie aber ein anderes Format dafür verlangen als den üblichen Gottesdienst.

Zwischen Vorlesungen und Seminaren, Prüfungen und Hausarbeiten - der Alltag der Studierenden ist häufig stressig und hektisch. An der TU in Garching lädt die evangelische Pfarrerin Katarina Freisleder Studierende und Mitarbeiter der Universität deshalb dazu ein, ihren Tagesablauf zur Mittagszeit einmal bewusst zu unterbrechen.

In der Regel arbeitet Freisleder dabei mit ihren Kollegen der Katholischen Hochschulgemeinde zusammen. "Die Konfession spielt bei uns keine so große Rolle", sagt sie. Die Meditation im Spiritum, einem Raum eigens für die beiden Religionsgemeinden auf dem Campus, soll für alle offen sein. Auch für Interessierte, die nicht gläubig sind, erzählt Freisleder: Sie selbst sieht die Mediation als "Verankern in Gottes Liebe", aber viele würden weniger den religiösen Aspekt, sondern vor allem die Entspannung schätzen.

Auf Sitzkissen oder kleinen Holzbänken dürfen die Teilnehmer es sich bequem machen, bevor Freisleder die Meditation mit einigen einführenden Worten beginnt. Ein "Body Scan", also eine Reise durch den eigenen Körper, soll helfen, langsam den Stress abzustreifen und den Alltag loszulassen. Schließlich meditieren die Studierenden gemeinsam circa zwölf Minuten lang in Stille. Mit einem freien Gebet beendet die Pfarrerin die Meditation. Anschließend bleibt Zeit für einen Austausch über Anliegen, die während des Meditierens aufgekommen sind.

Freisleder hat schon oft erlebt, dass sich auch bei nichtgläubigen Studierenden durch die Zeit in der Stille Fragen zum Glauben ergeben. "Die Meditation bietet eine gute Möglichkeit, mit vielen Menschen ins Gespräch zu kommen, die sonst vielleicht nicht unbedingt zu einer Pfarrerin kommen würden", sagt sie.

Viele würden dadurch auch auf die weiteren Angebote der Hochschulgemeinde aufmerksam, wie beispielsweise die Sprechstunde der Pfarrerin oder Gesprächskreise, in denen Studierende regelmäßig über den Glauben in Verbindung mit Themen wie Politik oder Wirtschaft diskutieren. Um dem Stress des Alltags zu entfliehen, können sich die Studierenden zusätzlich zur Meditation auch ganz allein in das Spiritum zurückziehen. "Der Raum steht bewusst immer offen", sagt Freisleder.

Die Stille auszuhalten, musste auch Sophie Bode lernen, als sie im Frühjahr dieses Jahrs zum ersten Mal an der Taizé-Fahrt der katholischen Jugendstelle Trudering teilnahm. Mit dem kurz zuvor abgelegten Abitur im Hinterkopf fühlte sie sich zunächst überfordert davon, während der Gottesdienste für einige Minuten zu schweigen und nichts zu tun.

"Mir waren meine eigenen Gedanken zu viel", berichtet die 18-Jährige aus Haar. Ihr sei in Taizé erst richtig bewusst geworden, dass nun der erste Abschnitt ihres Lebens zu Ende sei, eine Erkenntnis, die naturgemäß viele Fragen nach dem "Wie geht es weiter?" mit sich bringt. Bode gewöhnte sich nach anderthalb Tagen an die Stillephasen, auch wenn sie anfangs sehr daran zweifelte: "Ich dachte echt, ich pack' das nicht, das war wie ein Loch nach dem ganzen Stress."

Ihre Freundin Corinna Semmler geht noch zur Schule und war schon öfter in Taizé. Die Stille biete Zeit zum Nachdenken, sagt die 18-Jährige: "Ich habe mehr davon, mir selbst Gedanken zu machen als von einer normalen Predigt." Eine solche kommt nämlich in den Taizé-Gottesdiensten nicht vor. Das "Feeling" der Jugendtreffen nach Deutschland zu tragen, halten die Freundinnen für unmöglich.

Dafür sei die Atmosphäre dort zu besonders: abgeschottet vom Rest der Welt, betont Corinna Semmler. "Ein bisschen wie eine Käseglocke", wirft Sophie Bode ein. Die Offenheit, mit jedem über alles reden zu können und gleichzeitig zu wissen, dass man überall akzeptiert werde, zeichne die Jugendtreffen aus. Die dort entstehende Gemeinschaft führt Corinna Semmler auf eine Sache zurück: "Der Glaube verbindet, obwohl alle so unterschiedlich sind."

Die Freitage in Taizé werden jede Woche wie der Karfreitag an Ostern gefeiert. Gegen Ende des Gottesdienstes am Abend wird das große Kreuz von der Wand genommen und auf den Boden gelegt. Wer möchte, kann sich dort hinknien, seine Stirn an das Holz lehnen und beten. Die Schlange ist lang, die Gläubigen rutschen auf Knien nach vorn.

Eine schwer beschreibbare, sehr emotionale Stimmung liege dann in der Luft, sagt Sophie Bode. Es habe ewig gedauert, bis sie am Kreuz ankam. Vorn habe sie zunächst nicht gewusst, wie sie sich verhalten solle, und erst einmal die Stirn auf das Kreuz gelegt. Plötzlich war alles ganz einfach. "Das war wie eine Erleichterung, es war gar nicht schwer, dort zu beten und nachzudenken." (Mehr auf der Webseite)

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