Das Umweltbundesamt hat eine Studie veröffentlicht, die besagt, dass durch ein Tempolimit auf Autobahnen von 120 Stundenkilometern die Treibhausgasemissionen des Straßenverkehrs um 2,9 Prozent gesenkt würden. An der Studie hat auch Markus Friedrich mitgearbeitet, der Leiter des Lehrstuhls für Verkehrsplanung und Verkehrsleittechnik an der Universität Stuttgart. Die FDP zweifelt unterdessen die Ergebnisse an. Im Interview diskutiert Judith Skudelny, umweltpolitische Sprecherin der FDP in der Bundestagsfraktion sowie Stadträtin aus Leinfelden-Echterdingen, mit Markus Friedrich übers schnelle Fahren und Klimaschutz.
Frau Skudelny, wann sind Sie das letzte Mal mit mehr als 130 Sachen über die Autobahn gerast?
Skudelny: Am Freitagabend, da kam ich aus dem Urlaub zurück.
Haben Sie das Bedürfnis, schnell zu fahren?
Skudelny: Ich bin grundsätzlich jemand, der nicht so gerne richtig schnell fährt. Ich fahre im Regelfall irgendetwas zwischen 120 und 140. Das Bedürfnis steigt, wenn ich nach Hause fahre.
Herr Friedrich, werden Sie überholt oder angehupt, weil Sie schleichen?
Friedrich: Nein, in der Regel ist man, wenn man mit Tempo 120 auf der Autobahn fährt, kein großes Hindernis. Ich würde am liebsten 100 fahren, meist sind es etwa 110. Ich versuche, das Auto, das vor mir fährt, nicht zu überholen. Überholmanöver bringen unnötig Unruhe in den Verkehr.
Skudelny: Ich muss lachen, weil meine Mutter macht das auch. Sie hat vor vielen Jahren angefangen, auf der Autobahn Sprit zu sparen. Die ist mit ihrem Polo immer hinter einen Lkw gefahren und hat bewiesen, dass sie nicht mehr als drei Liter Sprit verbraucht.
Herr Friedrich, Sie haben eine höhere Klimawirksamkeit durch ein Tempolimit berechnet als angenommen. Wie seriös sind solche Prognosen?
Friedrich: Die Studie wird von manchen Leuten kritisiert oder angezweifelt. Wir haben die Berechnungswege offengelegt. Der Grund, warum wir zu anderen Ergebnissen kommen als vorangegangene Studien, liegt im Wesentlichen daran, dass wir viel genauere Informationen über die Verkehrszustände auf den Straßen haben.
Auch die FDP will die Studie widerlegen.
Skudelny: Ich werde ganz gewiss nicht bei einer Studie, die mit derartigem Aufwand betrieben worden ist, sagen, dass die vollkommen falsch ist. Ich glaube schon, dass sie mit sehr viel Sorgfalt gemacht worden ist, aber jede Studie, insbesondere wenn sie prognostizieren will, muss mit Annahmen arbeiten, und die wollen wir uns noch mal genauer anschauen. Was uns als FDP besonders interessiert: Die Studie hat außer Acht gelassen, dass wir die Infrastruktur massiv ausbauen wollen.
Friedrich: Ich finde es vollkommen in Ordnung, dass man das hinterfragt. Und wenn sich die FDP dafür interessiert ,super, sie soll sich aber am besten bei uns direkt melden, dann können wir es ihnen besser erklären. Zur Option, dass man versucht, mit Infrastrukturausbau das Problem zu lösen: In unserem Modell konnten wir einen fiktiven Zustand ohne Stau abbilden. Dann kämen wir auf vier Prozent Einsparungen bei den CO2-Emissionen im Straßenverkehr gegenüber den fünf Prozent, die wir beim Tempolimit, also 80 auf Landstraßen und 120 auf Autobahnen, hätten. Das steht auch so in der Studie.
Skudelny: Was ich übrigens gut finde: Die Studie schlägt viele Maßnahmen vor. Und bloß, weil man bei einer Maßnahme jetzt nicht Hurra schreit, bedeutet das nicht, dass man nichts macht.
Aber warum ruft die FDP eigentlich nicht Hurra? Das Tempolimit wäre kostenlos sofort zu haben.
Skudelny: Wir sind eine liberale Partei. Wenn ein Tempolimit keine maßgeblichen Verbesserungen für Klimaschutz und Verkehrssicherheit bringt, reicht es in Abwägung aller Gründe aus unserer Sicht nicht aus, um dieses Tempolimit in irgendeiner Form zu begründen. Eine Freiheit aufgeben geht schnell, sie wieder zurückerlangen, ist schwierig.
Frau Skudelny, sind Sie eigentlich in einer schwierigen Position: als Kämpferin für Umweltschutz „auf neuen Wegen“, als Radfahrerin – und als umweltpolitische Sprecherin einer Bundestagsfraktion, die vehement gegen das Tempolimit ist?
Skudelny: Nein, wir haben ja Ideen, wie wir den CO2-Ausstoß minimieren wollen. Für uns gibt es viele Maßnahmen, die zum Ziel führen können. Wir haben zum Beispiel auch E-Fuels. Insofern ist es nicht so: Wenn ich für das Tempolimit bin, dann bin ich ein guter Umweltpolitiker, und wenn ich dagegen bin, bin ich ein schlechter. Mit Umweltschutz sind auch technologische Maßnahmen und Infrastrukturausbau gemeint.
Könnte „Umweltschutz auf neuen Wegen“ auch bedeuten, dass die FDP doch mal ein Verbot ausspricht?
Skudelny: Es wird suggeriert, dass wir uns jetzt ändern müssen. Aber wäre ein Tempolimit wirklich ein neuer Weg? Die Debatte wird ja schon seit Jahrzehnten aus verschiedenen Positionen diskutiert. Wir gucken uns natürlich die Studie vom Umweltbundesamt und Herrn Friedrich an. Und wir werden unsere Meinung immer wieder abprüfen.
Gäbe es denn bei Ihnen Verhandlungsmasse?
Skudelny: Ob ich das Tempolimit hergeben würde? Klare Wahlversprechen muss man halten.
Tauscht die FDP das Tempolimit gegen schnelleren Straßenbau ein?
Skudelny: Quatsch. Es wurde gemunkelt, dass die FDP das Tempolimit gegen alles Mögliche auf dieser Welt tauscht. Wir haben ganz klar gesagt: Wir werden dieses Tempolimit nicht hergeben. Jetzt einfach zu sagen, wir nehmen es als Verhandlungsmasse, würde unsere Glaubwürdigkeit stark beschädigen. Wenn – und wirklich nur wenn – wir eine Änderung einer prominenten Position haben, dann kommt diese Position in ein Parteiprogramm, und auf Basis dieses Programms werden wir gewählt.
Herr Friedrich, wenn Sie das hören, was geht Ihnen durch den Kopf?
Friedrich: Wir haben ein Klimaschutzgesetz. Ich freu‘ mich, dass die Ziele im Gesetz niedergelegt und auch auf europäischer Ebene abgestimmt sind. Um die Ziele zu erreichen, brauchen wir alle Maßnahmen. Wir müssen mit Technik arbeiten, wir werden aber auch Verhaltensänderungen brauchen. Das Tempolimit wäre eine einfache Verhaltensänderung, man würde allerdings im Schnitt acht Stunden im Jahr mehr für alle Autofahrten brauchen, eine bis anderthalb Minuten pro Tag. Dafür sparen wir Geld, weil wir weniger Kraftstoffe brauchen. Das Faire an dieser Maßnahme ist, dass sie vollkommen unabhängig ist vom Einkommen, alle zahlen mit Zeit. Deswegen halte ich das Tempolimit auch als ordnungspolitische Maßnahme für umsetzbar. Ich bin aber auch ein Anhänger von Zertifikaten und CO2-Bepreisung.
Skudelny: Wir sind nicht gegen Ordnungspolitik, wir sind nur gegen das Tempolimit als eine Maßnahme. Und bei der CO2-Bepreisung, da treffen wir uns dann wieder.
Friedrich: Ein Tempolimit wirkt sofort. Alles andere, auch die CO2-Preise und die Elektrifizierung, wirkt erst 2027, 2028, 2030. Und wenn wir wirklich diese Klimaziele erreichen wollen, dann brauchen wir jetzt eine schnelle Maßnahme. Manchmal wird argumentiert: In Zukunft fahren wir ja elektrisch. Solange die Energieerzeugung nicht komplett dekarbonisiert ist, hilft uns ein Tempolimit. Und das wird noch bis zum Jahr 2050 der Fall sein. Man kann 2060 noch mal über ein Tempolimit nachdenken, aber dann haben wir autonome Fahrzeuge, die ohnehin nicht mehr als Erster ans Ziel kommen wollen, sondern die versuchen, ein Systemoptimum zu finden.
Skudelny: Die Coronakrise hat gezeigt, dass viele Leute Potenzial sehen, weniger Auto zu fahren und damit ihre persönliche Lebensqualität zu steigern. Wir brauchen kein Tempolimit, um eine Verhaltensänderung zu bewirken.
Friedrich: Mit dem Klimaschutzgesetz und dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts können wir es uns nicht erlauben, auf wirksame Maßnahmen zu verzichten. Es geht um eine Abwägung zwischen der Zukunft und dem, was wir uns heute als Luxus leisten. Ich hätte gern von der FDP und der Politik einen Weg aufgezeigt, der vorrechnet, wie wir die Klimaziele erreichen.
Skudelny: Ich gebe Ihnen recht, wir müssen noch mehr Anstrengungen machen, Rahmenbedingungen neu setzen. Jeder jetzt berechnete Weg basiert aber immer nur auf der heutigen Technik. Wir nehmen den Klimaschutz ernst und überprüfen regelmäßig Ziele und Maßnahmen.
Ist das schnell genug angesichts der Lage?
Skudelny: Nachhaltigkeit bezieht auch soziale und ökonomische Belange mit ein. Ich glaube, dass wir in der Gesamtabwägung die Menschen mitnehmen müssen, Punkt. Ich glaube nicht, dass das Tempolimit jetzt umgesetzt werden sollte, weil es viele Menschen gibt, die diese Maßnahme für falsch halten. Und wir haben ein Wahlversprechen abgegeben. Für mindestens so wichtig wie die Klimaziele halte ich den Glauben an die Demokratie. Diese wird von vielen Leuten im Moment angezweifelt.
Laut Umfragen ist ja eine Mehrheit der Deutschen für ein Tempolimit.
Skudelny: Eine knappe und sich immer wieder ändernde Mehrheit. Und wir sollen jetzt unsere Politik an diesen Umfrageergebnissen ausrichten?
Nein, am Klimaschutzgesetz.
Skudelny: Natürlich stehen wir zu einhundert Prozent zu den vorgegebenen Zielen.
Friedrich: Im Klimaschutzgesetz gibt es diesen Absatz: CO2-Überschreitungen eines Jahres werden auf die Folgejahre angerechnet. Die FDP und andere Politiker argumentieren immer mit den mittel- bis langfristigen Maßnahmen: Bis die E-Fuels da sind, werden wir einen CO2-Rucksack angehäuft haben, der erst nach 2040 abgebaut werden kann. Wir dürfen diesen Rucksack gar nicht erst aufbauen, bis die mittel- und langfristigen Maßnahmen greifen.
Skudelny: Und trotzdem kommen wir zu anderen Abwägungsergebnissen und setzen auf andere Maßnahmen.
Friedrich: Wie kann man das denn abwägen? Es gibt ein Klimaschutzgesetz und ein klares Urteil des Bundesverfassungsgerichts, dass man die Emissionsminderung nicht nach hinten schieben darf.
Skudelny: Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts sagt, dass wir uns auf einen Pfad begeben müssen, den wir in der Bundesregierung auch regelmäßig kontrollieren werden. Das Bundesverfassungsgericht sagt mit Sicherheit nicht, wir müssen ein Tempolimit umsetzen.
Friedrich: Das ist richtig.
Skudelny: Und die Umsetzung und die Kontrolle dieser Umsetzung ist eine Aufgabe dieser Bundesregierung. Ich glaube, dass wir die Ziele auch dann erreichen können, wenn wir das Tempolimit nicht umsetzen.
Wer hier diskutiert
Judith Skudelny
Die FDP-Politikerin sitzt für den Stuttgarter Wahlkreis I im Bundestag – bereits in der dritten Legislatur. Zudem ist sie Stadträtin für ihre Partei in Leinfelden-Echterdingen. Seit 2021 ist Skudelny unter anderem Sprecherin für Umwelt- und Verbraucherschutz der FDP-Bundestagsfraktion.
Markus Friedrich
Die Forschungsschwerpunkte des Professors an der Uni Stuttgart sind Verkehrs- und Mobilitätskonzepte, Verkehrsplanung, Verkehrstechnik, Ampeln, Stau sowie automatisierte Fahrzeuge. Markus Friedrich war maßgeblich an der viel beachteten Studie fürs Umweltbundesamt zum Tempolimit auf deutschen Autobahnen beteiligt.