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"Eiscafé Europa": Das Internet als Bakterienkolonie

Wenn man wissen will, wer oder wie Enis Maci ist, könnte man zum Beispiel ihren Namen googeln, "ungefähr 431.000 Ergebnisse (0,37 Sekunden)". Man könnte die Kurzbiografie lesen, die der Suhrkamp Verlag über sie veröffentlicht hat: "Enis Maci, geboren 1993 in Gelsenkirchen, hat Literarisches Schreiben am Deutschen Literaturinstitut Leipzig und Kultursoziologie an der London School of Economics studiert." Man könnte herausfinden, in welchem Jahrgang Maci an der Schreibschule war, mit welchen Gegenwartsautorinnen und -autoren sie im Seminar saß und bei wem sie gelernt hat. Man könnte in Wikipedias "Liste von Persönlichkeiten der Stadt Gelsenkirchen" lesen, dass es für das Geburtsjahr 1993 genau zwei Einträge gibt: einen für Maci, einen für den Fußballspieler Ridvan Balci.

So würde Enis Maci vielleicht selbst vorgehen, wäre sie ihr eigener Gegenstand der Betrachtung. Im vergangenen Jahr hat sie ihr erstes Buch veröffentlicht, Eiscafé Europa heißt es und enthält acht collagenhafte Essays, in denen sie über albanische Schwurjungfrauen, die Aktivistinnen der Identitären Bewegung oder Sophie Scholl nachdenkt. US-amerikanische Autorinnen wie Maggie Nelson und Leslie Jamison haben sich zuletzt an literarischen Essays versucht und schreiben sich in ihren Büchern von Liebeskummer oder der Alkoholsucht frei. Maci macht das nicht. Sie will beim Schreiben nicht mehr über sich erfahren, sondern vor allem mehr über die Welt. Statt nach Antworten sucht sie nach den richtigen Fragen. Ihr geht es darum, vom Partikularen aufs Universale zu schließen, vom Persönlichen aufs Allgemeine.

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