16 Jahre Kanzlerin. 16 Jahre. Angela Merkel. Wenn in dieser Phase die Raute als Symbol der Beständigkeit, der Stabilität galt - was wäre in Österreich wohl die passende Geste? Vielleicht ein Purzelbaum? Ein Kung Fu-Tritt? Schere-Stein-Papier? Wie auch immer. Am Montag wurde mit Karl Nehammer (ÖVP) der dritte Kanzler innerhalb von knapp sieben Wochen vereidigt. Der sechste Kanzler innerhalb von vier Jahren.
Dabei wollte Sebastian Kurz nur das Beste. Erst für sich. Dann für sich. Und dann für seine Freunde. Seine 59 PR-Mitarbeiter waren dann damit beauftragt, den politischen Egotrip ihres Chefs als „volksnah" zu inszenieren. Eine Art Josephinismus fürs TikTok-Zeitalter: Geht's dem Wunderwuzzi gut, geht's auch den Untergebenen gut. Knapp 28 Millionen Euro - Inseratenkorruption miteingerechnet - ließ sich der Jungspund 2020 das kosten. Besser: ließ er den Steuerzahlerinnen und -zahlern das kosten.
Jüngster Doppel-Ex-Kanzler aller ZeitenUnd jetzt hat er eben Familie. Wer will's ihm verdenken. Der ideologische Verrenkungskünstler, der sich noch im August gegen ein Papamonat entschied, kehrt der Politik den Rücken, weil er sich als liebevoller Vater versuchen will. Außerdem wartet ein „Topjob" in der Privatwirtschaft. Doch wer kennt sie nicht, die Anzug tragenden, jetsettenden Entrepreneurs, die sich neben ihrem 80-Stunden-Job noch liebevoll um Kind und Haushalt kümmern? Aber geschenkt! Um konsistente Positionen mit einer Halbwertszeit jenseits der 24 Stunden war der Vollzeit-Papa in spe ohnehin nie bemüht. Zumindest darin war er bis zum Schluss konsistent.
Dabei war der 24-Jährige, der quasi noch mit dem Geilomobil ins Integrationsstaatssekretariat cruiste, in der Tat ein politisches Ausnahmetalent. (Temporäres) Erfolgsrezept: Schuld sind stets die anderen! Und hier vor allem die Ausländer. Ein Hoffnungsschimmer für eine verstaubte ÖVP, die sich Wahl für Wahl der Bedeutungslosigkeit näherte. Mit 24 Staatssekretär für Integration, mit 27 Außenminister, mit 31 Bundeskanzler. Mit 33 jüngster Ex-Bundeskanzler. Mit 35 dann jüngster Doppel-Ex-Kanzler.
Die Geschichte - wie es so weit kommen konnte - ist eine lange und komplizierte. Die Kurzversion ( haha) lautet: sein einstiger Vizekanzler geriet beim Anblick einer „russischen Oligarchennichte" auf Ibiza etwas zu sehr in Wallung. Die Justiz fand das wenig lustig. Kurz-Intimus Thomas Schmid tippte vor einer Hausdurchsuchung noch siegesgewiss „ Ich habe heute alles gelöscht (...) Genial" in sein Handy. Vergas dabei zum Entertainment der Republik ein Backup in der Cloud. Darauf 330.000 Nachrichten, in denen sich Kurz und seine ÖVP-Boys locker-flockig auspalavern, wie sie denn die Republik am besten bescheißen könnten. (Tipp: Backups löschen!).
Aufstand der „alten Deppen"Soweit so dotschat. Gegen Kurz und sein engstes Umfeld wird derweil wegen Untreue, Bestechung und Bestechlichkeit ermittelt. Wenig schmeichelhaft für einen, der einst mit dem Versprechen angetreten war, einen „neuen Stil" etablieren zu wollen. Der dem ewigen Filz und der Korruption in der österreichischen Parteipolitik den Kampf ansagte. „Neu" an diesem „Stil" - so die Lehre nach zehn Jahren Kurz'scher Politik - war offenbar, dass seine Vorgänger einen vorsichtigeren Umgang mit digitaler Kommunikation pflegten. Cliffhanger: von den 300.000 Chatnachrichten von Thomas aka „Alles gelöscht" Schmid sind erst rund ein Drittel ausgewertet.
Nun, selbst seine 59-köpfige PR-Armada konnte einen derartigen Imageschaden nicht mehr geradebiegen. Erschwerend kam hinzu, dass Kurz in manchen dieser Chats Parteikollegen als „riesen oasch" und „alte Deppen" bezeichnete. Was diese und weitere dazu veranlasste zu sagen, jetzt sei aber mal Schluss mit lustig. Über ein paar Umwege - namentlich: Kurzzeit-Kanzler Alexander Schallenberg - verlies nicht nur Kurz die Politik, sondern mit ihm (ob freiwllig oder nicht, sei dahingestellt) zahlreiche seiner engsten Weggefährten.
HormonsuffDer nunmehrige Ex-Finanzminister und Kurz-Spezl Gernot Blümel hatte sogar noch den Humor, seinen Rückzug wie folgt zu begründen: Er sei gerade Papa geworden. So sind sie, die Männer in der ÖVP. Vorne rum einen auf hart machen - und sobald die eigene DNA Form annimmt, kicken die Hormone und sie lassen alles stehen und liegen. Ein Schelm, ein Familien-Feind, der da denkt, das könnte was mit Korruptionsermittlungen gegen die beiden hormonbesoffenen Gelfrisurenträger zu tun haben.
Die Folge: Mit Karl Nehammer wieder mal ein neuer Kanzler, dazu eine Handvoll neue Ministerinnen und Minister. Letztere wurden besetzt, wie in den guten alten, prä-kurz'schen Zeiten: nicht nach Kompetenz und Qualifikation, sondern für jedes Bundesland und jeden Interessensverband je ein Posten. Das mag man andernorts Vetternwirtschaft nennen - hierzulande heißt das Stabilität.
Es ist jetzt nicht grad so als gäbe es in der Alpenrepublik derzeit sonst nichts zu tun. Die Pandemie ist völlig außer Kontrolle geratem, das Land im Lockdown und ob der Impfpflicht tief gespalten. De facto haben derzeit selbst hartgesottene Innenpolitik-Expertinnen und -Experten Mühe, alle Regierungsmitglieder namentlich aufzuzählen. Bundespräsident Alexander van der Bellen leistete seit seinem Amtsantritt im Januar 2017 insgesamt 64 Amtseide. Man stelle sich nur vor, in Österreich müsste die Militärkapelle bei jeder An- und Abgelobung ein Nina Hagen-Lied einstudieren. Besser wäre es, man würde die gute Frau gleich direkt unter Vertrag nehmen.
16 Jahre Kanzlerin. 16 Jahre. Angela Merkel. Ganz schön fad.