Ein kleines Mädchen sitzt auf den Schultern ihres Vaters, rundherum Pärchen, die sich aneinander schmiegen. Bis Philipp Poisel die Bühne des Kreuzberger Lido betritt. Jubel bricht aus, Poisels Mund umspielt ein Lächeln. Noch immer hat er etwas jungenhaftes, wie er da - fast unscheinbar - mit seinem Surferboy-Haarschnitt, dem schlichten Shirt und der Gitarre auf der Bühne steht. Bis er beginnt zu singen: "Ich hab furchtbar Angst vorm Tod, Ich hoff wir sind dort nicht allein", ein ungewöhnlicher Opener, der es schafft, zwischen zutiefst melancholischen Zeilen sowohl zu berühren als auch Jubel auszulösen. "Froh dabei zu sein", singt die Menge den Chorus mit Poisel, der nur von zwei Gitarren begleitet wird. Man glaubt diese Zeilen, war es doch recht still um den Ludwigsburger geworden. Zwar spielte er noch im November 2015 eine komplett ausverkaufte Tournee, doch ist das letzte Album bereits vier Jahre her und auch auf Facebook war bis zum August zwei Jahre nichts von ihm zu hören.
Ein Album in den USADoch nun scheint ein neues Album nicht mehr allzu fern. "Viele meiner Superhelden kommen aus Amerika", erzählt der 33-Jährige. Deswegen hatte er den Traum, ein Album in den Staaten aufzunehmen. Und dafür ist die Band in kein geringeres Studio als das Blackbird in Nashville gegangen. Hier nahmen schon Kings of Leon, Neil Young, Taylor Swift und Snoop Dog auf.
Während er sich textlich treu geblieben ist, hebt sich der Sound der neuen Songs deutlich ab. Laute Beats, überpräsente E-Gitarren und reichlich Synthesizer. Damit beweist Poisel zwar, dass auch seine Musik mit der Zeit geht, doch kommt weder "Erkläre mir die Liebe", "Amerika" noch "Wenn die Tage am dunkelsten" an seine bisherigen Hits ran. Denn auch an diesem Abend ist seine bisher erfolgreichste Single "Eiserner Steg" ein Höhepunkt des Abends. Einem Herzschlag gleich beginnt das Schlagzeug das Intro. Der Klang der Gitarren scheint zu schweben, und dann kommen diese ehrlichen, direkten Zeilen, eine verzweifelte Liebeserklärung: "Ich will einmal noch schlafen, schlafen bei dir. Dir einmal noch nah sein bevor ich dich für immer verlier", langsam fliest eine Träne das Gesicht einer Frau herunter. Philipp Posier versteht es mit seiner Musik zu berühren.
Die Geschichte eines Straßenmusikers, der eigentlich Lehrer werden wollteEigentlich wollte er Realschullehrer für Kunst, Musik und Englisch werden, scheiterte an der Aufnahmeprüfung für Musik. Bis er im Sommer 2006 seinen späteren Produzenten Frank Pilsl in einem Stuttgarter Café kennenlernte, reiste er als Straßenmusik durchs Land. Mehrere Plattenfirmen fanden an den eingespielten Demos Interesse, doch waren die Vorstellungen von Künstler und Label zu unterschiedlich. Also gründet Poisel sein eigenes Label, Holunder-Records - bis er 2007 den Vertrag bei Grönland Records schrieb und drei Jahre später mit seinem zweiten Album "Bis nach Tolouse" Poisel seinen Durchbruch feiert.
So melancholisch wie der Abend beginnt, endet er auch. Mit "Liebe meines Lebens" entlässt Poisel das Publikum in die Nacht. Er bedankt sich, sehr ausführlich, wie man es von ihm gewohnt ist und verlässt fast schon schüchtern die Bühne.
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