1 abonnement et 2 abonnés
Article

Keine Angst vor einem Ölengpass

Europa und Russland führen einen Wirtschaftskrieg. Doch Sorgen vor einer Verknappung von Öl und Gas im Westen sind unbegründet. Ganz im Gegenteil: Die Ölpreise befinden sich im freien Fall.

Europa befindet sich im Handelskrieg mit Russland. Brüssel beschloss am Freitag, dass große russische Energiekonzerne wie Gazprom oder Rosneft sich kein Geld mehr auf dem europäischen Kapitalmarkt beschaffen dürfen. Zugleich berichten deutsche, polnische und österreichische Energieversorger, dass derzeit weniger Gas aus Russland bei ihnen ankommt. Doch trotz der Sorge vor Verknappung ist der Ölpreis derzeit im freien Fall. Ein Barrel des Nordseeöls Brent kostete am Donnerstag nur noch 97,51 Dollar, so wenig wie seit eineinhalb Jahren nicht. Der Gaspreis ist mindestens stabil. Deutsche Gasverbraucher müssen im Herbst nicht mit steigenden Preisen rechnen, einige Anbieter senken sogar ihre Tarife.

Es überrascht auf den ersten Blick, dass die Öl- und Gaspreise so hartnäckig den politischen Spannungen in der Ukraine-Krise trotzen. Doch grundsätzlich herrscht auf dem Weltmarkt derzeit ein Überangebot an Öl, das den Preis drückt. Die USA werden im kommenden Jahr so viel Öl fördern wie seit den 1970er Jahren nicht mehr, wie die US-Energiebehörde EIA jüngst prognostizierte. Insbesondere das Fracking, bei dem Öl und Gas aus Schiefergestein gepresst werden, macht es möglich. Zugleich ist die Öl-Nachfrage zurückgegangen. Die Internationale Energieagentur (IEA) schätzt, dass im vierten Quartal 2013 die Weltnachfrage bei 92,7 Millionen Barrel pro Tag lag, zum zweiten Quartal 2014 sank die Nachfrage um eine Millionen Barrel pro Tag. Dies erklärt die IEA damit, dass in den USA und in China das Wachstum hinter den Erwartungen zurück bleibt. Die Agentur spricht von einer Ölschwemme.

Zwei Faktoren wirken also zusammen: Sowohl ein steigendes Angebot als auch eine sinkende Nachfrage lassen den Ölpreis sinken.

Auch am Gasmarkt gibt es derzeit keine Sorgen vor Versorgungsengpässen. Grundsätzlich ist der Gaspreis in vielen langfristigen Verträgen an den Ölpreis gekoppelt. Zudem gelingt es vielen Energieversorgern derzeit, auch aus laufenden Verträgen günstigere Gaspreise auszuhandeln. Der Preis sei nicht mehr marktgerecht, heißt oft die offizielle Begründung. Tatsächlich erhöht sich auch der Druck auf das Förderland Russland. Der Handel mit Flüssiggas floriert. Große Exporteure wie Katar und Norwegen transportieren den Rohstoff über Tankschiffe. Für Europa ist das interessant, weil keine teuren und unsicheren Pipelines gebaut werden müssen.

Gazprom reagierte zu Beginn des Jahres und senkte den Preis für Lieferungen ins Ausland, um wettbewerbsfähig zu bleiben. Zugleich sind die europäischen Speicher gut gefüllt. Allein Deutschland hat derzeit rund 18 Milliarden Kubikmeter Erdgas auf Reserve. Selbst wenn Russland von heute auf morgen den Gashahn zudrehen würde käme Deutschland warm durch den Winter.

Noch hinterlassen die Wirtschaftssanktionen auf dem Öl- und Gasmarkt also kaum Eindruck. Die Hoffnung ist, dass es so bleibt.

Rétablir l'original